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Beantwortet
Autor Rüdiger Bazany am 18. Dezember 2013
11272 Leser · 9 Stimmen (-2 / +7)

Glauben und Leben

Jesus und das Gesetz Moses`

Sehr geehrter Herr Kardinal Meisner,

Gott hat Moses 10 Gebote gegeben, die immer noch Grundsatz für einen gläubigen Christen sind. Desweiteren hat Gott Moses unzählige (aus heutiger Sicht teilweise unmenschliche) Gesetze gegeben, die längst nicht mehr gelten.

Jesus verordnet die Feindesliebe und hebt die Weisung des Feindeshasses auf. Wenn ich über die Brutlalität der Israeliten gegen andere Völker lese, muss ich davon ausgehen, dass unter Moses klar die Weisung der Freundesliebe und des Feindeshasses galt.

Jesus sagt aber auch: "Denkt nicht ich sei gekommen um das Gesetz aufzuheben...sondern zu erfüllen. Wer...eines der kleinsten Gesetze aufhebt...".

Fast vorwurfsvoll fragt Jesus das Volk, das eine Ehebrecherin steinigen will, wer ohne Sünde sei.

Ich frage mich dann: Zur Zeit Mose war auch niemand ohne Sünde, aber Gott gab dem Volk dieses brutale Gesetz. Wurde dieses Gesetz im Volk Israel rigoros angewendet (auch bei Reue)? Unbarmherzigkeit ist/war doch auch schwere Sünde.

Jesus hat uns die rigorose Feindesliebe und Menschlichkeit gelehrt, er hat das ganze Gesetz in die Gottesliebe und die Nächstenliebe zusammengefasst. (Es fällt mir leicht einen Gott zu lieben, der sich selbst für meine Sünden hingibt, aber schwer einen Gott zu lieben, der Unmenschlichtkeiten fordert.)

Hat Jesus nun doch die Gesetze aufgelöst (nicht erfüllt)?

Wieso gelten heute die 10 Gebote Moses´, seine Gesetze aber nicht mehr?

Es gab damals auch das Gesetz: "Die Zauberinnen sollst Du nicht am Leben lassen." Wenn Jesus solche Gesetze Gott sei Dank "korrigiert" hat, wieso hat die Kirche, die ja vom heiligen Geist geführt wird, im Mittelalter während der Inquisition (z.B.Hexenprozesse) scheinbar wieder darauf zurückgegriffen und ging so lange "irre" (worauf JPII ja öffentlich um Vergebung bat).

Ich stelle mir viele Fragen zu diesen (scheinbaren) Widersrüchen. Vielleicht können Sie mir grundsätzlich näherbringen, wie Moses´Gesetze und Jesus´Lehre zusammenhängen.

Vielen Dank, frohe Weihnachten und natürlich einen schönen Ruhestand,

Rüdiger Bazany

+5

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Antwort
von Joachim Kardinal Meisner am 24. Januar 2014
Joachim Kardinal Meisner

Sehr geehrter Herr Bazany,

Ihre Frage zur Bedeutung der alttestamentlichen Gesetze ist ebenso verständlich wie berechtigt. Allerdings ist sie zugleich auch recht komplex und lässt sich nicht in die einfache Gleichung "brutale Gesetzgebung im AT - barmherziger Jesus im NT" überführen.

So ist es kein Zufall, dass das für Jesus zentrale Doppelgebot der Gottes- und Nächstenliebe mit Zitaten aus den Weisungen des Alten Testaments arbeitet: Die Gottesliebe ist prägnant in Dtn 6,4f. formuliert ("Höre Israel! Jahwe, unser Gott, Jahwe ist einzig. Darum sollst du denn Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit ganzer Kraft."), die Nächstenliebe ist das zentrale Thema der Gesetzesforderungen in Lev 19,11-18, zusammengefasst in V 18: "Du sollst Deinen Nächsten lieben wie dich selbst. Ich bin der Herr." Gerade bei diesem Vers ist interessant, dass der vorangehende Vers 17 erkennen lässt: Es geht nicht einfach nur um den "Nächsten", sondern es geht bei dem zu Liebenden um denjenigen, der Grund genug geliefert hat, dass man ihn hasst. Das Gebot der Nächstenliebe im Alten Testament ist also bereits an dieser Stelle eine vielleicht noch etwas "versteckte", aber dennoch erkennbare Form der Aufforderung zur Feindesliebe. Dasselbe ist erkennbar, wenn man die Bestimmungen zum Verhalten gegenüber dem Feind in Ex 23,4-5 liest: Das verirrte Rind des Feindes soll man diesem zurückbringen, dem unter seiner Last zusammen- brechenden Esel des Gegners Hilfe leisten. Also: Schon im Mose anvertrauten Gesetz hält Gott fest, dass "Heimzahlung" kein gottgemäßer Umgang mit Feinden ist.

Was die Rigorosität der Anwendung des Gesetzes anbelangt, besonders in Fällen der Todesstrafe, so kennt auch hier das Alte Testament zum einen bereits die Möglichkeit der Abwendung dieser Höchststrafe durch Ersatzstrafen. Vor allem ist aber auch mit dem großen Versöhnungsritus, der kaum zufällig genau die Mitte der Torah (5 Bücher Mose) bildet (Lev 16), deutlich gemacht, wie sehr bereits Vergebung im AT Gottes Wille und Forderung ist. Andererseits zeigt die Härte der Formulierungen, dass es im Handeln des Menschen immer ums Ganze geht und das Motto "Es kommt nicht so drauf an!" weder im Alten noch im Neuen Testament seine Rechtfertigung findet.

Mit alledem bleibt aber eine Widersprüchlichkeit in der Tat nicht aufzulösen: Dass bei allen guten Worten Gottes Menschen diesen Worten doch nicht trauen, ihnen zuwider handeln oder sie in einer Unbarmherzigkeit meinen umsetzen zu müssen, wie sie vermutlich nie gedacht waren. Dass Gott dies zulässt, hat mit der Freiheit zu tun, die er dem Menschen geschenkt hat. Gott wirbt um den Menschen, mit allen Mitteln. Er scheut selbst vor dem eigenen Erleiden der Todesstrafe in seinem Sohn nicht zurück. Aber er erschafft sich keine Marionetten, die nicht anders als gut handeln können. Denn dann wäre die Antwort auf seine Liebe nicht Liebe, sondern ein erzwungener Automatismus.

Mit dem Wunsch, in dieser auszuhaltenden Spannung den eigenen Glauben zu bewahren und darin Kraft für Ihre eigene Lebensgestaltung zu finden, grüßt Sie mit allen Segenswünschen für das Neue Jahr

Joachim Kardinal Meisner