Sehr geehrte Frau Breidenbach,
auch das Alte Testament weiß sehr wohl um Sünde bzw. Schuld als einen willentlichen Akt. Deshalb heißt es auch: „Das Trachten des Menschen ist böse von Jugend an“ (Gen 8,21) und eben nicht: „von Geburt an“. Jugend meint das Alter, da man selbst verantwortlich Entscheidungen treffen kann. Eine Differenzierung im Sinne der Moraltheologie zwischen Sünde und Schuld gibt, auch wenn die Übersetzungen das nahe legen mögen, das Hebräische nicht her. Hier wird sehr alltagsnah gedacht. Sünde bzw. Schuld wird entweder in das Bild des „Putsches“ gegen Gott, der „Verfehlung“ des Zieles (wie bei Pfeil und Bogen) oder schließlich in das Bild des „krummen Weges“ gefasst.
Der zitierte Ps 51,7 („Denn ich bin Schuld geboren, in Sünde hat mich meine Mutter empfangen“) weist aber nun über das Gesagte hinaus darauf hin, dass der Mensch in einen Sündenzusammenhang geraten kann, der seinem eigenen Tun voraus liegt. Dabei wäre der Vers völlig miss- verstanden, wenn der Zeugungsakt an und für sich bzw. generell hier als Sünde verstanden würde. Der Psalm weist als Gebet eines Einzelnen auf ein individuelles Geschehen hin, das der Beter nicht näher ausführt. Allerdings bietet die Einleitung des Psalms (V 2) einen Hinweis, in welche Richtung die Hl. Schrift hier denkt. Dieser Psalm wird verbunden mit der Situation, nachdem David sich Batsebas, der Ehefrau seines Feldherrn Urija, bemächtigt hatte. Es folgten Schwangerschaft einerseits und die heimtückische Tötung Urijas auf Befehl Davids andererseits (vgl. 1 Kön 11-12). Als Bußgebet des auf diese Weise schwer schuldig gewordenen und seine Sünde erkennenden David gibt der Psalm zu bedenken, dass es Unheilsverstrickung von der Geburtsstunde an gibt. Das Kind solcher Zeugung hat natürlich nicht selber gesündigt und würde doch den Makel der Schuld, der mit seiner Entstehung verbunden ist, mit sich tragen. Und wer kann absehen, was aus solcher Verstrickung für Folgeschuld erwächst?
Um so wichtiger ist aber nun der Blick auf die ersten Worte des Gebets. Sie sprechen von der Güte (die Einheitsübersetzung schreibt etwas altertümelnd: Huld) und dem reichen Erbarmen Gottes (Ps 51,3). Beides sind Ausdrücke größtmöglicher und vorbehaltloser Zuwendung. Bereits das Alte Testament weiß um den Gott, der alles gut erschaffen hat (vgl. Gen 1,21) und genau deshalb an seiner Schöpfung zuwendungsvoll festhält. Er ist es, der in Jesus Christus Mensch wurde, um die Menschen zu sich zu führen. Im Psalm kann der gute und vergebende Gott ange- sprochen werden, weil Sünde und Schuld nicht etwas sind, was Gott dem Menschen durch die Schöpfung mit auf den Weg bzw. ins Leben gegeben hätte. Vielmehr haben sie zu tun mit der Entscheidungsfreiheit für oder gegen Gott. Wo der Sündenmechanismus aber einmal in Gang gekommen ist, entwickelt er in der Tat eine eigene, äußerst wirksame Geschichte, der sich kein Mensch absolut entziehen kann. Und der Eintritt in diese Geschichte beginnt bei jedem Menschen mit der Geburt. Das gilt auch dann, wenn die eigene Geschichte keinen so dramatischen Anfang hat wie die Verbindung von David und Batseba. Christlicher Glaube bekennt aber auch in großer Festigkeit, dass Gott aus diesem Sünden- kreislauf einen erlösenden Ausweg geschaffen hat in der Mensch- werdung, dem Leben, Leiden, Sterben und in der Auferweckung Jesu Christi.
Es gibt also nicht nur die selbst verantwortete Schuld, sondern auch größere Schuldzusammenhänge, an denen wir mit zu tragen haben. Wir dürfen aber glauben und hoffen, darunter am Ende nicht zu zerbrechen. Das wäre der Fall, wenn die Lösung der Schuldproblematik allein dem Menschen aufgebürdet wäre. Gott aber hat sie in der Menschwerdung Christi zu seiner Sache gemacht. Allerdings gibt Ps 51 zu bedenken: Es wäre vermessen, wenn irgendein Mensch von sich glaubte, er wäre ein „Unschuldslamm“. Das bekennen wir nur von dem einen, der in der Eucharistie angerufen wird als das „Lamm Gottes, das hinweg nimmt die Sünden der Welt“.
Mit freundlichen Grüßen