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seit 2006 beantwortete das Bundespresseamt Ihre Fragen auf dieser Plattform im Auftrag der deutschen Bundeskanzlerin. Im Zuge einer Neustrukturierung entwickelt das Bundespresseamt sein originäres Angebot weiter im Sinne eines Bürgerservices mit Dialogmöglichkeiten. Auf dieser Plattform wurden am Montag, den 30. April 2018, die letzten drei Fragen beantwortet. Neue Beiträge und Kommentare werden nicht mehr veröffentlicht.

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Ihr Moderationsteam

Beantwortet
Autor Georg Penzkofer am 25. Mai 2009
8670 Leser · 0 Kommentare

Wirtschaft

Ist die Finanzwelt eine globale Steueroase?

Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin,
durch einen systemimmanenten Prozess (zur Entwertung gültiger Stimmen) hat Ihr Team von direktzu.de mein Anliegen „Besteuerung des Interbankenhandels“ am 17. Mai mit +313 Stimmen archiviert und am nächsten Tag den bis dahin zweiten mit +219 Stimmen als „TOP“ markiert und zur Beantwortung weitergeleitet.
Ich finde es schade, weil ich und 312 weitere Leser Ihrer Plattform gerne gewusst hätten, warum auf den Wirtschaftsgipfeln immer nur von teueren Ausgabeprogrammen aber nie von der Refinanzierung dieser Programme gesprochen wird. Der hektische Interbankenhandel hat doch zu der Anhäufung von toxischen Finanzprodukten in den Depots der Banken geführt, für die der Steuerzahler jetzt gerade stehen muss. Warum also keine Refinanzierung durch Besteuerung dieses Interbankenhandels?

Nun zur Frage: Ist die Finanzwelt eine Steueroase?
Als Steueroasen werden Staaten oder Gebiete bezeichnet, die keine oder besonders niedrige Steuern auf Einkommen oder Vermögen erheben und so Kapital aus Ländern mit höheren Steuersätzen absaugen.
Meines Wissens sind Unternehmen der Finanzwelt (Interbankenhandel, Devisenhandel, Börsenumsätze, . .) im Vergleich zu Unternehmen der Realwirtschaft (Industrie, Handwerk, Handel, . .) mit keinen bzw. sehr geringen Abgaben an den Fiskus belastet und erzielen deshalb hohe Kapitalrenditen. Die globale Finanzwelt ist also im Vergleich zu unserer heimischen Realwirtschaft eine globale Steueroase, die Kapital aus der heimischen Realwirtschaft absaugt.

Wie funktioniert das?
Im SOFFIN-Hintergrund steht der Satz: „Dem Finanzsystem kommt in einer Volkswirtschaft die Aufgabe zu, Ersparnisse aufzunehmen und diese der Wirtschaft für notwendige Investitionen bereitzustellen.“
Unser Finanzsystem erfüllt nur mehr den ersten Teil ihrer Aufgabe „Ersparnisse aufzunehmen“ mit Nachdruck. Der zweiten Teil ihrer Aufgaben „das Kapital der einheimischen Wirtschaft bereitzustellen“ wird nur gegen hohe Sicherheiten und hohe Zinsen recht zögerlich wahrgenommen. (Kreditklemme)

Der Grund: Investitionen in der Realwirtschaft bringen nur geringe Renditen, während in der globalen Finanzwelt Eigenkapitalrenditen von 25% und mehr erreicht werden können. Das in der globalen Finanzwelt investierte Kapital fehlt im Geldkreislauf der heimischen Wirtschaft.
In der Konsequenz fehlt der Realwirtschaft das Schmiermittel Geld; es werden keine Arbeitplätze geschaffen; die Schere zwischen Arm und Reich geht weiter auf.

Frau Bundeskanzlerin, Sie wissen, dass die Konjunkturpakete keinen dauerhaften Aufschwung bewirken. Das Wort Überbrückung suggeriert, dass der Aufschwung nach einer gewissen Zeit automatisch kommt. Meine Überlegungen stützen dies nicht, da die globale Steueroase aus jeder Volkswirtschaft Geld absaugt, das nicht in der Realwirtschaft investiert wird. Ein dauerhafter Aufschwung kann nur durch Investitionen in der Realwirtschaft erreicht werden.

Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin, wie wollen Sie nach Ihrer Wiederwahl im Herbst die Saugkraft der globalen Steueroase mindern?
Sehen Sie eine Möglichkeit die Kosten der Banken- und Wirtschaftskrise durch künftige Einnahmen (Steuern oder Gebühren) aus der Finanzwirtschaft zu begleichen?

Freundliche Grüße
G. Penzkofer

Antwort
im Auftrag der Bundeskanzlerin am 04. Juli 2009
Angela Merkel

Sehr geehrter Herr Penzkofer,

vielen Dank für Ihre Zuschrift, die wir im Auftrag der Bundeskanzlerin beantworten.

Der Weltfinanzgipfel in London hat im April 2009 Maßnahmen gegen Steueroasen oder Gebiete beschlossen, die Geldwäsche ermöglichen oder von denen Gefahren für die Finanzmarktstabilität ausgehen können. Mit Blick auf Steueroasen haben die Staats- und Regierungschefs vereinbart, einen „Instrumentenkasten“ mit effektiven Gegenmaßnahmen zu entwickeln.

Die Bundesregierung unterstützt intensiv Bemühungen der OECD und der G20, den Druck auf so genannte Steueroasen zu erhöhen. Diese Bemühungen greifen: Immer mehr Länder und Gebiete erklären sich bereit, die Standards der OECD für die Zusammenarbeit im Kampf gegen Steuerflucht und Steuerhinterziehung zu akzeptieren und in ihre Steuerpolitik zu integrieren. Steueroasen werden "trockengelegt".

Zuletzt fand Ende Juni im Bundesfinanzministerium eine internationale Konferenz zur Bekämpfung von Steuerhinterziehung statt. Die Teilnehmer erzielten weitere deutliche Fortschritte im Kampf gegen Steueroasen. Die beteiligten Staaten haben sich auf ein gemeinsames, entschlossenes Vorgehen gegen Steuerhinterziehung verständigt. Konkret:

Es wird Sanktionen gegen Länder bzw. Finanzzentren geben, die sich nicht am Kampf gegen Steuerbetrug oder Steuerhinterziehung beteiligen (höhere Quellensteuer auf Kapitalerträge, Kündigung von Zollabkommen) – und gesellschaftsrechtliche Sanktionen auch gegenüber Konstrukten wie Trusts, Stiftungen und Mantelfirmen.

Wer Geld in frühere Steueroasen gebracht hat oder dorthin bringt, muss damit rechnen, dass das Bankgeheimnis für ihn nicht mehr gilt. Die Steuerfahnder erhalten jetzt endlich Auskunft darüber.

Mit Entlastungen für Bürger, gezielter Wirtschaftsstärkung und Beschäftigungssicherung setzen die Konjunkturpakete 1 und 2 auf Maßnahmen mit kurz- und mittelfristiger Wirkung. Zusätzlich entfalten umfangreiche Investitionen in die Zukunftsbereiche Bildung, Infrastruktur und Klimaschutz eine schnelle Wirkung. Gleichzeitig dienen diese Zukunftsinvestitionen der langfristigen Stärkung und Modernisierung unseres Landes. Das umfassende Maßnahmenpaket in Höhe von ca. 80 Milliarden Euro für 2009 und 2010 zielt darauf ab, dass Deutschland aus der globalen Wirtschafts- und Finanzkrise gestärkt und zukunftsfest hervorgeht.

Zur Ihrer Frage zu künftigen Maßnahmen und ihrer Ausgestaltung (z. B. der Einführung einer Börsenumsatzsteuer) ist von der jetzigen Bundesregierung keine Aussage möglich. Inwieweit derartige Pläne eventuell Gegenstand künftiger Koalitionsverhandlungen sind bzw. ob die neue Bundesregierung derartige Pläne ggf. auf die Tagesordnung setzt, bleibt abzuwarten bzw. ist der künftigen Regierung vorbehalten.

Mit freundlichen Grüßen

Ihr
Presse- und Informationsamt der Bundesregierung