Sehr geehrte Damen und Herren,

wie Sie sicher aus den Medien erfahren haben, werde ich am 28. August vom Amt des Ministerpräsidenten zurücktreten. Deshalb wird es mir künftig nicht mehr möglich sein, Ihre Fragen an dieser Stelle zu beantworten. Der Bürgerdialog über das Onlineportal direktzu.de hat in den zurückliegenden Jahren eine Vielzahl von Anliegen und Problemen von Ihnen, den Bürgerinnen und Bürgern, thematisiert. Ich habe mich über die anhaltende Resonanz sehr gefreut. Sie dokumentierte Ihr Interesse am Lebensumfeld, aber auch an politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Fragen. Das Portal war für mich wichtiger Anzeiger, welche Sorgen, Probleme oder Anliegen die Menschen im Land bewegen. Es bot die Möglichkeit, politische Bewertungen aus der brandenburgischen Bevölkerung ungefiltert und direkt zu erfahren. Und ebenso offen und geradeheraus habe ich mich stets um Antwort bemüht. Für mich war darüber hinaus entscheidend, dass das Voting-Verfahren den öffentlichen Diskurs bei uns im Land befördert. Fragesteller und auch ich wussten dadurch: Das interessiert Viele!

Ich bedanke mich bei Ihnen für Ihr Vertrauen und die vielen interessanten Fragen und Einschätzungen.

Herzlichst

Ihr

Matthias Platzeck

Beantwortet
Autor Christian Pigolla am 05. Juli 2011
7835 Leser · 76 Stimmen (-0 / +76) · 0 Kommentare

Arbeitsmarkt

Braucht Brandenburg wirklich Fachkräfte?

Sehr geehrter Herr Platzeck,

in Brandenburg wird immer wieder ein sogenannter Fachkräftemangel propagiert, die brandenburgische Politik denkt auch über mögliche Rückholprogramme für abgewanderte meist jugendliche Fachkräfte nach, aber dem kann ich nicht so recht folgen!

Warum kann ich diesen angeblichen Fachkräftemangel nicht nachvollziehen? Dazu eine kurze Erläuterung zu meiner Person:
Im Jahr 2000 beendete ich die allgemeinbildende Schule mit einem Notendurchschnitt von 1,7. Anschließend begann ich mit der Ausbildung zum Forstwirt im ehemaligen Amt für Forstwirtschaft Peitz, heute Landesbetrieb Forst Brandenburg, wo ich nach 3-jähriger Ausbildungszeit auch in Festanstellung als Forstwirt übernommen worden bin.
Im Jahr 2007 legte ich dann erfolgreich die Prüfung zum Forstwirtschaftsmeister ab und habe auch sonst alle sich mir bietenden Fortbildungsmöglichkeiten genutzt, wie z.B. Sachkundiger für Kran- und Forstseilwinden, Arbeiten mit der Motorkettensäge im Hubsteiger (AS Baum II) sowie Auftragnehmer/Verantwortlicher für Verkehrssicherungsmaßnahmen u.v.a.

Der Landesbetrieb Forst Brandenburg befindet sich derzeit im Reformprozess, mit dem Ziel der Umstrukturierung und des Personalabbaus von 2.400 auf 1.516 Stellen. Der Personalabbau findet ausschließlich nach dem Punktesystem einer Sozialauswahl statt, wo Qualifikation, Leistung und Können keine Berücksichtigung finden!
Im Ergebnis dieses Punktesystems bin ich durchgefallen - was auch nicht verwunderlich ist, denn das Durchschnittsalter im Landesbetrieb Forst liegt im Waldarbeiterbereich bei ca. 55 Jahren - und soll nun in andere Bereiche der Landesverwaltung z.T. artfremd vermittelt werden (Luftfahrtbehörde, Finanzamt oder Justizdienst...). Im ehemaligen Amt für Forstwirtschaft Peitz gab es seit 1991 zwei Neueinstellungen im Waldarbeiterbereich, eine Stelle wurde bereits abgebaut und die zweite, was meine Person betrifft, soll demnächst abgebaut werden; somit hat man in 20 Jahren nach der Wende es nicht geschafft, den Personalbestand der Waldarbeiterschaft zu verjüngen!

Wie kann also die brandenburgische Politik behaupten, dass ein Fachkräftemangel herrscht, wenn es nicht einmal deren eigener Landesbetrieb schafft, junge und motivierte Fachkräfte auf perspektivische Sicht an sich zu binden, sondern sich den Luxus leistet, auf die Leistungsträger in den eigenen Reihen zu verzichten?

Mit freundlichen Grüßen
Ch. Pigolla

+76

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Antwort
von Matthias Platzeck am 04. August 2011
Matthias Platzeck

Sehr geehrter Herr Pigolla,

vielen Dank für Ihren sehr emotionalen Beitrag auf meiner Seite. Ich kann es menschlich durchaus nachvollziehen wie schwer es ist, nach erfolgreicher Berufsausbildung und gesammelten Erfahrungen in den ersten Jahren des Berufslebens nun einen neuen Weg einschlagen zu müssen.

Auch wenn es für den Einzelnen Veränderungen in seinem Arbeitsleben mit sich bringt, geht die Landesregierung mit der Forstreform einen Weg der sozial verantwortungsbewussten Politik. Ja, es werden Stellen wegfallen, die betroffenen Mitarbeiter können aber in anderen Bereichen aufgefangen werden. Und zwar dort, wo sie gebraucht werden. Aufnahmebereite Bereiche sind unter anderem der Landesbetrieb für Straßenwesen, die Polizei und der Justizdienst sowie die Feuerwehren und die Finanzverwaltung. Es gibt also keine betriebsbedingten Kündigungen. Der Vollständigkeit halber füge ich hinzu: Der Prozess der Personalreduzierung soll insbesondere auch durch Nutzung der Altersteilzeitregelung und des Tarifvertrags „Verwaltungsumbau" sozialverträglich gestaltet werden.

Zusammengefasst: Wer heute verantwortungsvoll mit öffentlichen Geldern umgeht, kommt in Zeiten des demografischen- und wirtschaftlichen Strukturwandels und sinkenden Zuweisungen des Bundes nicht um eine Hauhaltskonsolidierung herum.

Sehr geehrter Herr Pigolla, Sie zweifeln am Fachkräftemangel. Es ist aber so, dass ebenjener Strukturwandel und ebenjene demografische Entwicklung auch einen erhöhten Bedarf an Fachkräften mit sich bringen. Das erlebe ich inzwischen regelmäßig bei Firmenbesuchen und in Gesprächen mit Vertretern aus Kammern und Verbänden. So sind rund eine Million freie Stellen im Sommer 2011 deutschlandweit nach Angaben des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung zu besetzen – das sind gut 60 Prozent mehr als im vergangenen Jahr. Ärzte, Ingenieure, Pflegekräfte und Fachkräfte in der Industrie werden dringend gesucht.

Auch die erste gemeinsame Fachkräftestudie für die Region Berlin-Brandenburg prognostiziert einen steigenden Fachkräftebedarf: Bis 2015 wird damit gerechnet, dass 270.000 Arbeitsplätze nicht besetzt werden können, bis 2030 sogar bis zu 460.000, weil entweder Arbeitskräfte fehlen oder die entsprechenden Qualifikationen nicht vorhanden sind - sofern keine Gegenmaßnahmen ergriffen werden. Das zeigt, dass jeder gut ausgebildete Mensch auch gute Chancen auf dem brandenburgischen Arbeitsmarkt hat. Unternehmen und Verwaltungen werden immer schärfer um qualifizierte Arbeitnehmer konkurrieren.

Sie sehen, der Spannungsbogen zwischen Haushaltskonsolidierung auf der einen Seite und steigendem Fachkräftebedarf und der notwendigen Fachkräftesicherung auf der anderen Seite stellt die Landesregierung vor enorme Aufgaben. Diese können und werden im Öffentlichen Dienst für das Land Brandenburg nur solidarisch und gemeinsam mit allen Beschäftigten bewältigt werden. Über Ihre Unterstützung dabei würde ich mich sehr freuen.

Mit freundlichen Grüßen