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Beantwortet
Autor Maria Glasmachers am 15. Januar 2010
8672 Leser · 0 Kommentare

Innenpolitik

Werden wir ein Überwachungsstaat?

Guten Tag Frau Bundeskanzlerin

Ich habe eine Frage. Möglicherweise ist es aber mehr der Ausdruck meiner Sorge. Wo steuert Deutschland hin?
Ich habe in der letzten Zeit, für mich, beunruhigende Neuigkeiten erfahren.
Für das Gesundheitswesen sollen wir eine elektronische Gesundheitskarte, gekoppelt mit einem elektronischen Rezept und einer elektronischen Patientenakte bekommen.
Für den Arbeitsmarkt einen elektronischen Entgeltnachweis.
Vorratsdatenspeicherung der Telekommunikationsdaten zur Bekämpfung und Verfolgung schwerer Straftaten.

Das hört sich eigentlich gut an. Die Papierflut in Deutschland soll verringert werden. Es sollen unnötige Kosten eingespart werden und für den einzelnen Bürger soll alles besser werden. Moderne Rechnerprogramme sollen vieles vereinfachen. Dazu passt Ihre Aussage, dass die IT – Branche ein Hoffnungsträger für die deutsche Wirtschaft sein soll.
Als ich mich dann aber mit den einzelnen Maßnahmen beschäftigt habe, haben mich die Informationen aber sehr beunruhigt. Gegen eine elektronische Krankenkarte ist eigentlich nicht viel zu sagen, ich sehe nur keinen besonders großen Vorteil gegenüber den bisherigen Karten. Für mich wäre wichtig, dass die Karte einfach und ohne einen PIN lesbar ist. Ein elektronisches Rezept hat sowohl Vorteile als auch Nachteile. Eine großartige Verbesserung kann ich darin nicht erkennen. Die elektronische Patientenakte sehe ich aber als ein großes Risiko. Hier sollen sensible Daten auf einem Großrechner gespeichert werden, und alleine in Deutschland von über 200.000 Servern aus aufrufbar und auch änderbar sein.
Einen großen Vorteil für die Behandlung kann ich dabei nicht erkennen. Bei Notfällen werden die Daten nicht benötigt, da das medizinische Personal immer nach einem vorgegebenen Schema arbeitet. Dafür bedarf es keiner speziellen Daten. Bei geplanten Behandlungen ist es mir lieber, dass der behandelnde Arzt seine Erkenntnis just in time gewinnt, und nicht auf alte Daten zurückgreift.
Für meine sensiblen Daten sehe ich jedoch ein großes Gefährdungspotential. Bei der Vielzahl von möglichen Zugriffsstellen kann selbst der größte Fachmann keine Sicherheit garantieren. Und der Missbrauch von persönlichen Daten ist heute schon enorm.
Wenn ich jetzt noch über die Kosten für dieses Projekt nachdenke, so sehe ich für den normalen Bürger nur Nachteile.
Das zweite Projekt, Elena, sieht auf den ersten Blick sehr interessant und auch sinnvoll aus. Doch als ich erfahren habe, welche Daten hier alles gespeichert werden sollen, war ich doch sehr beunruhigt. Die Fragen nach der Anzahl der Krankmeldungen, nach der Teilnahme an rechtmäßigen und unrechtmäßigen Streiks, nach Abmahnungen und Kündigungen, die dann nur aus Arbeitgebersicht beantwortet werden, müssen jeden Arbeitnehmer alarmieren.
Die Vorratsdatenspeicherung der Telekommunikationsdaten dient in meinen Augen nicht der vorbeugenden Bekämpfung, wohl aber der Verfolgung schwerer Straftaten. Früher musste ein Richter der Abhörung jeder einzelnen Person zustimmen, heute, weil möglich, werden die Daten aller Bürger gespeichert. Mir ist auch nicht bekannt, dass für die Auswertung der gespeicherten Daten eine richterliche Anordnung benötigt wird.
Der sinnvolle Einsatz der modernen Rechnertechnik ist immer zu begrüßen. Aber nicht alles was möglich ist, ist auch sinnvoll. Hier scheint mir der Weg in einen totalen Überwachungsstaat vorbereitet zu werden.

Daher meine oben gestellte Frage. Wo steuert Deutschland hin?

Mit freundlichem Gruß
Maria Glasmachers

Antwort
im Auftrag der Bundeskanzlerin am 18. Februar 2010
Angela Merkel

Sehr geehrte Frau Glasmachers,

vielen Dank für Ihre Zuschrift, die wir im Auftrag der Bundeskanzlerin beantworten.

Datensicherheit und informationelle Selbstbestimmung von Patientinnen und Patienten sowie Versicherten haben für uns einen hohen Stellenwert. Deshalb geht die christlich-liberale Bundesregierung mit Themen, die den Datenschutz betreffen, äußert sensibel um. Zweck der elektronischen Gesundheitskarte ist es, auf freiwilliger Basis Verwaltungsarbeit im Sinne der Patienten zu erleichtern.

Richtig ist, dass wir eine Telematik-Infrastruktur brauchen, damit sich medizinische Daten im Bedarfsfall sicher und unproblematisch austauschen lassen. Da die Arzt-Patienten-Beziehung besonders vertraulich und daher ausdrücklich zu schützen ist, wird die Bundesregierung vor einer weitergehenden Umsetzung der Gesundheitskarte eine Bestandsaufnahme vornehmen. Dabei werden Geschäftsmodell, Organisationsstrukturen und Zusammenwirken mit der Selbstverwaltung in Testregionen überprüft und bewertet. Erst danach wird die Bundesregierung endgültig entscheiden.

Erste Testergebnisse haben die Bundesregierung bereits jetzt dazu veranlasst, auf Verbesserungen hinzuwirken. Dabei verfolgen wir drei Ziele: größere Praxistauglichkeit der Karte für die behandelnden Ärztinnen und Ärzte, bessere Behandlungsqualität für die Patientinnen und Patienten sowie ein Höchstmaß an Datensicherheit.

Die Erweiterung der Krankenversichertenkarte zu einer elektronischen Gesundheitskarte soll sich deshalb zunächst auf ein modernes, sicheres Versichertendatenmanagement sowie auf die Notfalldaten konzentrieren. Zugleich wird die Forderung der Ärzte und Krankenkassen nach einer sicheren Kommunikationsinfrastruktur schnellstmöglich umgesetzt. Der Nutzen für die Patientinnen und Patienten muss ebenso klar sein wie die Praxistauglichkeit und die Einhaltung des Datenschutzes. Wir wollen keinen Überwachungsstaat und steuern auch nicht dahin.

Weitere Informationen finden Sie hier:

Gesundheitskarte

http://www.bmg.bund.de/cln_178/nn_1168278/DE/Gesundheit/G...

Telematikinfratruktur

http://www.bmg.bund.de/nn_1168278/SharedDocs/Pressemittei...

Datensicherheit

http://www.bmg.bund.de/cln_151/nn_1168278/SharedDocs/Pres...

Zum ELENA-Projekt: Die Bundesregierung schätzt den Umgang mit einer Vielzahl von persönlichen Daten, die im ELENA-Verfahren gespeichert werden, als besonders sensibel ein.

So hat das zuständige Bundesarbeitsministerium im Zusammenwirken mit den Vertretern der Spitzenverbände der Sozialversicherung und den kommunalen Leistungsträgern noch vor Beginn des ELENA-Verfahrens am 1. Januar 2010 sensible Daten – wie die Erfassung von Streiktagen – aus dem Datensatz entfernt. Fachleute überprüfen derzeit noch einmal, welche Daten erforderlich sind, um Leistungsanträge bearbeiten zu können. Die Prüfung soll bis Ende Februar 2010 abgeschlossen sein. Finden die Fachleute Daten, die entweder unnötig oder sogar unrechtmäßig sind, würden sie sofort aus dem Datensatz entfernt.

Um künftig auch die Arbeitnehmerinteressen bei der Aufstellung des Datensatzes noch stärker zu berücksichtigen, ist beabsichtigt, dem Deutschen Gewerkschaftbund ein Anhörungsrecht bei der Aufstellung des Datensatzes einzuräumen. Dazu ist eine gesetzliche Regelung geplant, ein sogenannter Referentenentwurf für das Gesetz existiert bereits im Bundesarbeitsministerium.

Weitere Rechtssicherheit im Verfahren schafft die ELENA-Datensatzverordnung, die der Bundesrat am vergangenen Freitag (12. Februar 2010) verabschiedet hat. Diese Verordnung regelt nicht nur die möglichen Inhalte des Datensatzes, sondern auch den genauen Kreis der meldepflichtigen Arbeitgeber, der zu meldenden Personen sowie den technischen Ablauf des Verfahrens.

Die wichtigste Aussage zum ELENA-Verfahren hat weiterhin Bestand: Jeder bleibt allein Herr seiner Daten. Sie lassen sich nur mit Hilfe einer eigenen Signaturkarte plus einer weiteren Signaturkarte von jemandem, der dazu berechtigt ist, abrufen. Ein unkontrollierter Zugang ohne die persönliche Zustimmung ist nicht möglich. Sobald die gespeicherten Daten für eine Leistungsgewährung nicht mehr benötigt werden, werden sie automatisch aus dem Speicher gelöscht.

Weitere Informationen zu ELENA finden Sie hier:

http://www.bundesregierung.de/Content/DE/Magazine/Magazin...

Mit freundlichen Grüßen

Ihr

Presse- und Informationsamt der Bundesregierung