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Autor Annette Kleinke am 10. Januar 2009
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Kinder und Jugend

Warum müssen Kinder erst seelisch behindert sein ?

Warum müssen Kinder nach dem Kinder - und Jugenhilfegesetz §35a SGB VIII erst seelisch behindert sein, bevor sie Anspruch auf Jugendhilfe haben?

Zitat des Bundesfamilienministeriums:
.....Leistungen der Kinder - und Jugendhilfe sind gegenüber anderen Leistungsträgern nachrangig........
....Kinder- und Jugendhilfe tritt nicht automatisch als Ausfallbürge ein, auch dann nicht wenn andere Leistungsträger ausfallen.
Zunächst ist zu prüfen, ob nicht Leistungen der gesetzlichen Krankenkasse zu gewähren sind. Im Übrigen müssen die Voraussetzungen für die Gewährung einer Hilfe nach dem Achten Buch Sozialgesetzbuch-Kinder - und Jugendhilfe (SGB VIII) vorliegen. In Betracht kommen hier in erster Liene Eingliederungshilfen wegen einer (drohenden) seelischen Behinderung nach §35a SGB VIII. Voraussetzung dafür ist aber, dass zum einen eine seelische Störung vorliegt und zum anderen aufgrund dieser Störung die Teilhabe des Kindes oder Jugendlichen am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist oder eine solche Beeinträchtigung zu erwarten ist (§35a SGB VIII).
Über das Vorliegen der Voraussetzungen dieses Anspruchs und im Einzelfall geeingeter notwendiger Hilfen entscheidet der örtliche Träger der öffentlichen Jugendhilfe, also das Jugendamt. Zur der Frage, ob eine Abweichung der seelischen Gesundheit vorliegt, hat es die Stellungsnahme eines Facharztes bzw. Kinder und Jugendpsychotherapeuten einzuholen (§35a Abs.2 SGB VIII).
Sowohl die Einschätzung, ob aufgrund des Abweichens der seelischen Gesundheit vom Normalzustand die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist oder eine solche Beeinträchtigung zu erwarten ist, als auch die abschließende Entscheidung über die Gewährung der geeigneten notwendigen Hilfe obliegt indes dem Jugendamt.
Die Beurteilung der seelischen Behinderung ist dabei folgendermaßen vorzunehmen: Der aus §2 SGB IX abgeleitete Behinderungsbegriff orientiert sich nicht mehr an den vermeintlichen Defiziten, sondern rückt das Ziel der Teilhabe an verschiedenen Lebensbereichen (Partizipation) in den Vordergrund (BT-Drs.14/5074, S.98).
Die Beeinträchtigung der Fähigkeit zur Teilhabe am Leben in der Gesellschaft wird bei Teilleistungsstörungen nach der Intensität der Auswirkungen der seelischen Störung abgegrenzt, indem nachgefragt wird, ob die seelische Störung so intensiv ist, dass sie über bloße Schulprobleme und Schulängste, die andere Kinder teilen, in behinderungsrelavanter Weise hinausgeht, z.B. zu einer auf Versagungsängste beruhende Schulphobie, einer totalen Schul- und Lernverweigerung, dem Rückzug aus jedem sozialen Kontakt und der Vereinzelung in der Schule geführt hat bzw. zu führen droht (BVerwG-26.11.1998-5C38.97, FEVS 49,487 ff.) ........Sollten Sie zu der Auffassung kommen, die Behörde habe sich rechtswidrig verhalten, so steht Ihnen der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten offen... Zitat Ende.

Selbst wenn die Ärzte und Psychologen zu der Erkenntnis kommen, dass das Kind von seelischer Behinderung bedroht ist, kann die zuständige Fachkraft des Jugendamtes die Befundberichte ignorieren und völlig autonom, ohne selbst die entsprechende Ausbildung als Arzt oder Psychologe zu haben, Jugendhilfe ablehnen.
Gerade weil es bei der Entscheidung über die Gewährung von Jugendhilfe in der Praxis immer wieder Porblem gab, wurde das Kinder- und Jugendhilfeentwicklungsgesetz (KICK) 2003 beschlossen. In der Praxis wurde immer wieder beklagt wurde, dass der Gesetzgeber die Rolle und den Auftrag des Arztes und Psychotherapeuten bei der Feststellung über die Leistungsvoraussetzungen und Entscheidungen über die geeingeten und notwendigen Hilfen nicht hin reichend spezifiziert hat und es in verwaltungsrechtlichen Verfahren immer wieder zu Streitigkeiten über die Rollenverteilung des Arztes und Psychotherapeuten und Fachkräften des Jugendamtes kam.
Die neuen Regelung im Kinder- und Jugendhilfeentwicklungsgesetz (KICK), so die Kommentare zum KICK, sollen verdeutlichen, dass die Stellungnahme des Arztes und Psychologen im Wesentlichen auf den ersten Tatbestand, also die Feststellung, ob die seelische Gesundheit des Kindes mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als
6 Monate vom dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht. Um Interessenkollisionen zu vermeiden darf der Arzt bzw. Psychologe nicht Leistungserbringer sein.
Der Arzt oder Psychologe darf die Entscheidung, der Fachkräfte im Jugendamt über die geeigneten und notwendigen Hilfen, nicht vorwegnehmen.

Die Betonung liegt auf geeignete und notwendigen Hilfen.

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