Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin,
in der Diskussion um die aktuelle Finanzkrise bleibt ein zentraler Aspekt notorisch ausgeblendet, den einige Ökonomen schon seit geraumer Zeit als tiefere Ursache regelmäßig auftretender Crashszenarien erkannt haben: Die Fehlkonstruktion des Zinses in seiner gleichzeitigen Funktion als Allokations- sowie als Umlaufsicherungsmittel sowie die Monopolstruktur des Geldes.
Geld wird in der Standardökonomie seit über 200 Jahren als "neutrale Größe" hinsichtlich seiner Wirkungen auf die Realwirtschaft betrachtet. Diese weithin unhinterfragte Grundannahme verhindert den Blick auf die systemische Ursache der globalen Finanzkrise: Im derzeitigen Geldsystem wachsen die Vermögen systematisch schneller als das reale BIP (in D z.B. ist das BIP von 1950 bis 2000 um das 7-fache gewachsen, die Geldvermögen sind im gleichen Zeitraum um das 32-fache gewachsen). Der Grund liegt darin, dass die Zinsraten, mit denen die Geldvermögen wachsen, seit langem über den sinkenden realwirtschaftlichen Wachstumsraten liegen und wegen der im Zins enthaltenen "Liquiditätsprämie" nicht marktgerecht fallen können, ohne dass Geld in kurzfristiger Form gehortet wird (die sog. "Liquiditätsfalle"). Das exponentielle Überwachstum der Geldvermögen führt systematisch zum Entstehen spekulativer Blasen, die in regelmäßigen Abständen platzen müssen - mit entsprechenden Folgen für die Realwirtschaft.
Die Alternative: Bereits nach der Weltwirtschaftskrise in den 30er Jahren empfahl kein Geringerer als John Maynard Keynes in Anlehnung an Silvio Gesell, anstelle des Zinses "künstliche Durchhaltekosten" zur Umlaufsicherung des Geldes einzuführen. Durch diese "Liquiditätsabgabe" auf Bar- und Giralgeld kann bei rückläufigem Wirtschaftswachstum das langfristige Zinsniveau gegen Null tendieren. Der Wachstumszwang für die Realwirtschaft enfällt ebenso wie das Entstehen von Vermögensblasen.
Keynes' Vorschlag auf der Weltwährungskonferenz von Bretton Woods 1944, auf Basis der "Liquiditätsabgabe" eine internationale Handelswährung ("Bancor") einzuführen, scheiterte damals an den hegemonialpolitischen Interessen der Supermacht USA, die den US-Dollar als neue Leitwährung durchsetzten. Kürzlich äußerten sich Marvin Goodfried von der FED bzw. Willem Buiter von der London School of Economics optimistisch, die Ideen Gesells und Keynes könnten sich heute als hilfreich erweisen.
Werden Sie, Frau Merkel, als Bundeskanzlerin in Anbetracht der von Vertretern dieser Geldreform seit Jahren prognostizierten "Jahrhundertkrise" auf dem bevorstehenden Weltfinanzgipfel am 15.November die Gelegenheit nutzen, um die systemische Ursache der immer wiederkehrenden Finanzcrashs offen zu benennen und die Einführung einer "Liquiditätsabgabe"/ Welthandelswährung mit Liquiditätsabgabe zur nachhaltigen Stabilisierung des Finanzsystems einzufordern?
Unterschiedliche Zwecke verlangen unterschiedliche Geldsysteme. Derzeit gibt es sowohl für den regionalen wie auch für den internationalen Handel lediglich ein weltweit etabliertes, zinseszinsbasiertes und unbegrenztes Wachstum förderndes Geldsystem. Werden Sie angesichts der Krisenanfälligkeit der gegenwärtigen Monopolstruktur des Geldes für eine entsprechende Diversifizierung sorgen, indem Sie sich für eine klare gesetzliche Grundlage der in Deutschland bereits existierenden regionalen Komplementärwährungen aussprechen?
Herzlichen Dank für Ihr Engagement. Die Zukunft wird es Ihnen danken!
Mit freundlichen Grüßen
Heiko Kastner
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