Sehr geehrter Herr Professor Haspelmath,
herzlichen Dank für Ihre ausführliche Mail. Angesichts Ihrer Fragen erlauben Sie, dass die Antwort auch etwas länger ausfällt.
Wie Sie wissen, wird seit einigen Jahren versucht, Aufklärung über die nuklearen Absichten des Iran zu erhalten. Dabei geht es um die Frage, ob und mit welchem Ziel der Iran eine nukleare Anreicherung betreibt. Geht es alleine um die friedliche Nutzung der Kernenergie, oder verfolgt der Iran das Ziel, selbst Atomwaffen herzustellen ?
Grundlage jeder Beurteilung muss das internationale Recht sein. Dabei ist vor allem der Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen (NVV) von 1968 zu beachten. Er ist das Fundament des internationalen nuklearen Nichtverbreitungs- und Abrüstungsregimes. Er verpflichtet die am Vertrag teilnehmenden Kernwaffenstaaten (USA, Russland, China, Frankreich, Großbritannien) auf das Ziel vollständiger nuklearer Abrüstung – im Gegenzug die Nichtkernwaffenstaaten zum Nuklearwaffenverzicht. Darüber hinaus vereinbart er die Zusammenarbeit der Vertragspartner bei der friedlichen Nutzung der Kernenergie. Der Vertrag erlaubt allen Unterzeichnern die friedliche Nutzung.
Dem NVV gehören 188 Staaten an, auch der Iran. Der Iran hat also, wie im übrigen Deutschland, völkerrechtlich verbindlich auf den Besitz von Nuklearwaffen verzichtet. Das Land hat sich auch verpflichtet, in nuklearen Angelegenheiten mit der Internationalen Atomenergieagentur (IAEO) in Wien zusammenzuarbeiten. Dementsprechend wird das iranische Nuklearprogramm von der IAEO gemäß dem sog. Safeguards Agreement gegenwärtig kontinuierlich inspiziert. Damit alle Partner des Nichtverbreitungsvertrages sicher sein können, dass dies auch eingehalten wird, kontrolliert die IAEO die Nuklearprogramme aller Länder, die den Vertrag unterschrieben haben.
Auf dieser Grundlage darf ich Ihnen kurz den Verlauf der Auseinandersetzung schildern, um die es heute mit dem Iran geht: 2002 wurde bekannt, dass der Iran Atomanlagen unterhält, die er der IAEO über fast zwei Jahrzehnte verschwiegen hat. Damit hat Iran einen schweren Verstoß gegen seine internationalen Verpflichtungen aus dem NVV begangen. Die daraus entstandenen massiven Fragen und Zweifel am Charakter seines Nuklearprogramms konnte Iran bis heute nicht ausräumen. Die IAEO versucht seit 2002 im Rahmen Ihres Kontrollauftrags, die entstandenen Fragen und Zweifel aufzuklären. Allerdings weigert sich Iran seit mehreren Jahren, der IAEO hierbei die geforderte Kooperation und Transparenz zu gewähren.
Die Außenminister Deutschlands, Frankreichs und Großbritanniens (die sogenannten „E3“) haben deshalb vor Jahren einen Gesprächsprozess mit Iran begonnen und ihn aufgefordert, seine Aktivitäten zur Urananreicherung solange auszusetzen, bis das Vertrauen in den friedlichen Charakter seines Nuklearprogramms wiederhergestellt ist. Der Iran müsse offen und transparent mit der IAEO zusammenarbeiten.
Da die Bemühungen der E3 und der IAEO aber keine entscheidenden Fortschritte brachten, legte die IAEO den Fall im Februar 2006 dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen vor. Gleichzeitig forderte die IAEO Iran in einer Resolution dazu auf, bis zur Wiederherstellung des verloren gegangenen Vertrauens auf alle Aktivitäten zur Urananreicherung und Wiederaufbereitung verzichten.
Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen forderte den Iran in der dann folgenden Resolution erstmals rechtsverbindlich dazu auf, seine Aktivitäten zur Anreicherung von Uran solange auszusetzen, bis das Vertrauen der internationalen Gemeinschaft in den friedlichen Charakter des iranischen Nuklearprogramms wiederhergestellt ist. Außerdem beschloss der Sicherheitsrat völkerrechtlich verbindliche Sanktionen:
Iran soll damit dazu bewegt werden, voll mit der IAEO zu kooperieren und das verloren gegangene Vertrauen der internationalen Gemeinschaft wieder herzustellen. Die Lieferung von Waren und Technologien, die das umstrittene Atomprogramm fördern, wird vom Sicherheitsrat deshalb verboten. Auslandskonten von am Atomprogramm beteiligten natürlichen und juristischen Personen werden eingefroren. Verboten wird auch der Transfer von Know-how. Als zusätzliche Maßnahmen wurden unter anderem beschlossen: ein Verbot sämtlicher Waffenexporte aus Iran, ein Aufruf zur Wachsamkeit bei Waffenverkäufen an Iran sowie ein Aufruf, der iranischen Regierung keine weiteren staatlichen Kredite zu gewähren (Ausnahme: humanitäre und Entwicklungszwecke). Die EU beschloss zudem, keine Waffen an Iran zu liefern.
Auch nach Überweisung an den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen setzten die E3 ihre Bemühungen fort. Das Format wurde erweitert (E3/EU + 3), und im Juni 2006 legten die Außenminister Deutschlands, Frankreichs, Großbritanniens sowie der Hohe Repräsentant der EU, Solana, gemeinsam mit ihren Kollegen aus den USA, Russland und China dem Iran ein umfassendes Kooperationsangebot vor. Darin stellten sie dem Iran – unter der Voraussetzung der Aussetzung seiner Aktivitäten zur Urananreicherung – eine weitreichende wirtschaftliche, politische und nukleare Zusammenarbeit in Aussicht. Bei einer Kooperation mit der IAEO könnte also Iran in Zukunft auch auf eine Zusammenarbeit bei der friedlichen Nutzung der Kernenergie rechnen. Auf dieser Grundlage sollten Verhandlungen geführt werden. Formal hat der Iran zwar auf dieses Angebot reagiert, die zentrale Forderung – die Aussetzung der Anreicherung – aber weiter abgelehnt.
Wie Sie sicherlich den Nachrichten entnommen haben, hat es weitere Resolutionen des Sicherheitsrates gegeben, so auch in der vergangenen Woche. Ziel ist dabei unverändert, den Iran zu der erhofften Kooperation zu bewegen.
Zusammenfassend möchten wir festhalten:
1. Ausgangspunkt für die Diskussion um das Nuklearprogramm des Iran sind seine Verstöße gegen den Nichtverbreitungsvertrag und die fehlende Zusammenarbeit mit der IAEO.
2. Alle Sanktionen gegen den Iran geschehen auf der Grundlage von Sicherheitsratsresolutionen der Vereinten Nationen. Es handelt sich also nicht um Drohungen einzelner Staaten sondern um ein Vorgehen der internationalen Staatengemeinschaft.
3. Deutschland verfolgt mit seinen internationalen Partnern eine Strategie, die sich als „doppelter Ansatz“ charakterisieren lässt: Einerseits wird in Gesprächen mit der iranischen Führung sondiert, ob sie bereit ist, an den Verhandlungstisch zurückzukehren – wozu die Erfüllung der Forderung nach Aussetzung der Urananreicherung gehört; andererseits ist der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen mit dem Dossier befasst, um durchzusetzen, dass der Iran den völkerrechtlich bindenden Forderungen nachkommt.
Die Suche nach einer diplomatischen Lösung hat für Deutschland unverändert höchste Priorität.
Weiterführende Information, einschließlich einer ausführliche Dokumentation, erhalten Sie auf folgenden Webseiten:
http://www.auswaertiges-amt.de/diplo/de/Aussenpolitik/The...
http://www.iaea.org/NewsCenter/Focus/IaeaIran/index.shtml
Mit freundlichen Grüßen
Ihr
Presse- und Informationsamt der Bundesregierung
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