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Beantwortet
Autor Alfred Mayer am 09. Juli 2009
9628 Leser · 154 Stimmen (-1 / +153)

Deutscher Bundestag allgemein

Wahlgeheimnis als Schlüssel für eine neue Politikergeneration

Sehr geehrter Herr Lammert
Viele Entscheidungen der letzten Jahre lassen an der Qualifikation und der Auswahl der Regierenden zweifeln.
Das könnte u.a. an der leider nicht demokratisch gehandhabten Auswahl der uns Wählern präsentierten Kandidaten liegen. Nur die können wir ja wählen und nicht die, die wir selbst für die Richtigen halten würden !
Zur Demokratie gehört das Wahlgeheimnis. Nicht nur im öffentlichen Wahllokal (wo es sehr streng zugeht), sondern auch in den Parteien bei der Aufstellung der Kandidaten.
Obwohl jedes Wahlgesetz für die Aufstellungsversammlungen in den Parteien geheime Abstimmung zwingend vorschreibt, findet keine Partei etwas dabei, in enger Sitzordnung die Wahlzettel gleich am Tisch auszufüllen, sodaß die Umsitzenden zuschauen können. Ich kann mir gut vorstellen, daß viele Leser dieser Eingabe an der Richtigkeit dieser Behauptung zweifeln. Aber es ist so, wie Sie selbst wissen werden. Sie waren ja schon oft genug dabei.
Bei den Wahlen selbst müssen Wahlkabinen benutzt werden. Bei Aufstellungsversammlungen ist die Benutzung freiwillig. Wer davon Gebrauch machen würde, wäre schon als Abweichler verdächtig.
Die Folgen des Verzichts auf das Wahlgeheimnis waren in der DDR sichtbar.
Die Abstimmung lief fast immer mit 99,999 % zugunsten des bestehenden Machtapparats aus. Die Wahlkabine nutzende Parteimitglieder werden zwar heute nicht mehr anschließend von der Stasi erwartet, der eigenen Parteikarriere ist aber auch heute nicht förderlich, als Querschädel zu gelten.
Wegen der Verletzung des Wahlgeheimnisses läuft ein Verfahren vor dem Bayerischen Verfassungsgerichtshof. Wäre da nicht angebracht, für die nächsten Wahlen auf die strikte Einhaltung des schon seiner Natur nach unverzichtbaren Wahlgeheimnisses zu sorgen, ehe Wahlen mit hohen Kosten wiederholt werden müssen ?
Ich würde mich freuen, wenn Sie den Parteien ganz konkret vorschlagen würden, die Aufstellungsversammlungen für die nächste Bundestagswahl ebenso geheim abzuhalten wie die Wahlen selbst bzw. diese zu wiederholen.
Was bei 60 Millionen Stimmberechtigten geht, müßte mit einigen hundert Delegierten auch möglich sein.
Innerparteiliche Demokratie würde jedem Bürger möglich machen, durch den Beitritt zu einer Partei in der Politik mitreden und mit entscheiden zu können. Auch Idealisten sähen dann einen Sinn in einer Parteimitgliedschaft. Und ich persönlich wünsche mir nur Idealisten in der Politik, mindestens so wie bei Lehrern, Ärzten und Krankenschwestern. Ich mag keine Abgeordneten, die sich bei rund 10.000 Euro Monatsgehalt beklagen, nicht so viel zu ergattern wie ein Manager in der Industrie, von denen und ihren Lobbyisten sie tagtäglich umgeben zu sein scheinen.
Heute macht eine Parteimitgliedschaft nur dann Sinn, wenn man persönliche Vorteile erzielen will. Für Idealisten ist kein Platz.
Beste Grüße
Alfred Mayer

+152

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Antwort
aus dem Bundestag am 20. August 2009
Bundestagspräsident

Sehr geehrter Herr Mayer,

das Wahlgeheimnis gehört zum Kern des demokratischen Wahlrechts. Deshalb sind nicht nur die Wahlen zu allen Volksvertretungen geheim, auch über die Kandidaten der Parteien muss in geheimer Abstimmung entschieden werden. Werden diese durch Delegierte gewählt, müssen auch diese selbst in geheimer Wahl bestimmt werden. So sehen es das Parteiengesetz und das Bundeswahlgesetz vor. Die Parteien sind also nicht nur aufgerufen, dem Folge zu leisten, sondern sie sind daran gebunden. Sie müssen eidesstattlich gegenüber dem Kreiswahlleiter versichern, dass bei der parteiinternen Abstimmung diesen Vorgaben Genüge getan wurde.

Zweifel an der Rechtsmäßigkeit einer Bewerberaufstellung können Sie gegenüber dem zuständigen Kreis- oder Landeswahlleiter anzeigen. Jeder Wahlberechtigte kann zudem gegen die Gültigkeit der Bundestagswahl Einspruch beim Bundestag zu erheben, die dann durch den Bundeswahlausschuss geprüft werden.

Einwände wie der Ihre waren bereits Gegenstand solcher Einsprüche, so zum Beispiel auch nach der letzten Bundestagswahl. Sie wurden vom Wahlprüfungsausschuss des Bundestages abgelehnt. Denn für die Aufstellung der Parteibewerber gelten weniger strenge Vorgaben als bei der Wahl der Abgeordneten. Die Erfordernisse der geheimen Abstimmung gelten demnach als erfüllt, wenn über die Kandidaten schriftlich mit Stimmzetteln abgestimmt wird und diese verdeckt gekennzeichnet und ohne Einsichtnahme anderer abgegeben werden können. Diesen unterschiedlichen strengen Anforderungen an das Wahlgeheimnis liegt Folgendes zugrunde: Einerseits müssen im Vorfeld der eigentlichen Wahl demokratische Mindestregeln durch Parteien eingehalten werden, auch wenn sie keine amtlichen Wahlorgane sind. Andererseits ist die Autonomie von Parteien zu wahren und die Erheblichkeit von möglichen Wahlfehlern, die durch Parteien bei der Kandidatenaufstellung begangen werden können, von vornherein strikt zu begrenzen. Damit werden die aus Wahlen hervorgegangenen Volksvertretungen auch davor geschützt, dass durch etwa bewusste Verstöße gegen wahlrechtliche Regelungen bei der Kandidatenaufstellung Einfluss auf die Gültigkeit einer Wahl genommen werden kann.

Näheres dazu können Sie in der Beschlussempfehlung des Wahlprüfungsausschuss nachlesen (Bundestagsdrucksache 16/3600, ab Seite 65). Einsicht in die Drucksache erhalten Sie schnell und kostenfrei über den Dokumentenserver des Bundestages: http://drucksachen.bundestag.de/drucksachen/index.php.

Mit freundlichen Grüßen
Abteilung Presse und Kommunikation