Sehr verehrter Herr Bundestagspräsident,
Ihr Eintreten für die deutsche Sprache, damit u. a. auch gegen die Anglizismenflut ist bekannt. Nachfolgender Aufsatz möge Ihre Initiative weiter stärken!
Mit freundlichem Gruß
Green
Die Welt (Forum) vom 6.7.2007
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Die Anglizismenflut schwillt zum Tsunami
Die Mehrsprachigkeit hatte im Alten Testament keine gute Presse: Die
Geschichte vom Turmbau zu Babel war die Geschichte einer schlimmen Bestrafung.
Wir können uns des Eindrucks nicht erwehren, dass die Sehnsucht nach der
paradiesischen Einsprachigkeit, sprich dem primitiven Einheitsbrei, heute
in den deutschen Landen fröhliche Urständ feiert. Sie zeigen sich sogar
bereit, dafür jene andere biblische Strafe noch einmal in Kauf zu nehmen, die
Sintflut, den vom Atlantik her anrollenden Wort-Tsunami, damit er unseren
kleinen, klaren, blauen Gartenteich ersäuft.
Die (immerhin 100 Millionen) Deutschen haben angefangen, sich für ihr Deutsch
zu genieren. In Schlüsselstellungen in Wissenschaft und Forschung werden
immer häufiger angelsächsische Fachvertreter berufen, was freilich keine
schreiende Ungerechtigkeit sein muss, sofern nämlich Engländer und
Amerikaner das Umgekehrte tun sollten. Im internationalen Kontext führen
sich die Deutschsprachigen als die Missionare des Englischen auf und
versuchen damit nicht nur die eigene Sprache mundtot zu machen. Auf dem
Brüsseler Parkett reden sie selbst dann so etwas wie Englisch, wenn sie
unter sich sind.
Sicher, ein Allerleirauh stellt mehr Kontaktmöglichkeiten bereit als ein
Fingerzeig oder -schnippen. Aber Sprachenpluralismus ermöglicht mehr und
bessere Kommunikation, das heißt mehr Witz, Tiefgang, größere Präzision,
mehr Intimität und Humor als der einseitig inhaltsbezogene Sprachgebrauch
einer sogenannten Lingua franca. In den Schulen und Universitäten wird
Immersionsunterricht eingeführt, der die Sprachen den Dilettanten
überlässt.
Eine besonders schlüpfrige Spitze des Eisbergs der allgemeinen Anglomanie
und Angloganz (richtig, das war eine Ableitung von Arroganz) ist die
Anglizismenflut in unserer gegenwärtigen Sprache. Fremdsprachige Einflüsse
sind nichts Neues und haben die Sprache im Laufe der Jahrhunderte bereichert.
Aber Bereicherndes wirkt sich bekanntlich spätestens dann erstickend aus,
wenn die verabreichte Dosis das Vertretbare übersteigt.
Wir wollen sie hier nicht auflisten, die gut 6000 Anglizismen (G. Junker; R.
Hoberg) im heutigen Deutsch, weil etwas Ungeheuerliches, nie Dagewesenes der
Fall ist: Praktisch jedes deutsche Wort lässt sich inzwischen durch ein
angelsächsisches ersetzen. Das ist keine Bereicherung, sondern Sterilisation.
Stil ist heute wichtiger als Wissen und allgegenwärtig: im Parteipräsidium,
in der Disco, in der Liebe, im Radrennfahren, nur nicht im Sprachverhalten.
Für jede Einfallslosigkeit findet sich ein englisches Feigenblatt.
Geht das Wasser der deutschen Sprache bis an den Hals? Was ist nach einem
Tsunami? Noch haben sich weder um Mühlhausen noch um Düren nicht-mehr-deutsche
Sprachtümpel angesammelt. Aber unsere Sprache büßt bereits eine Funktion nach
der anderen ein. Ist sie noch Wissenschaftssprache, Werbesprache,
Verhandlungssprache? Es kommen, es kommen die Wasser all, Sie rauschen
herauf, sie rauschen nieder, Die Sprache bringt keines wieder. Wenn der
Rückfall ins Paradies der Sprachlosigkeit nur nicht in der SprachHölle
endet!
Gestern verirrte sich ein spanischer Aasgeierschwarm in den flämischen
Feldern. Wie ich höre, wird die belgische Regierung alles Menschenmögliche
unternehmen, damit die Art nicht ausstirbt.
Prof. Dr. Roland Duhamel (Universität Antwerpen) Vorsitzender des
Wissenschaftlichen Beirates des Vereins Deutsche Sprache
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