Sehr geehrte Frau Wagner,
Bundestagspräsident Dr. Lammert kann sich als langjähriger leidenschaftlicher Parlamentarier kein schöneres, interessanteres und vielfältigeres Amt als das des Bundestagspräsidenten vorstellen. Dieses Amt ist mit fast keinem anderen politischen Amt vergleichbar, denn es ist einerseits in der aktiven Politik angesiedelt, andererseits erfordert es – definiert durch die Geschäftsordnung des Bundestages – Neutralität in der Amtsführung.
Aus seinem Amtsverständnis heraus hält sich Herr Dr. Lammert daher mit polarisierenden Meinungsäußerungen in aktuellen politischen Streitgegenständen eher zurück und äußert sich vielmehr zu grundsätzlichen Fragen, die etwas mit der Stellung des Parlaments, dem Verhältnis von Mehrheiten und Minderheiten, der politischen Kultur unseres Landes oder mit Grundsatzfragen unserer Verfassung zu tun haben. Dies erhöht vielleicht nicht den persönlichen Bekanntheitsgrad in Medien und Öffentlichkeit und begrenzt das „Spielfeld“, macht das Amt für Herrn Dr. Lammert aber zugleich reizvoller. Insofern liegt es in der Natur der Sache, dass er in der Öffentlichkeit persönlich weniger wahrgenommen wird als Bundeskanzlerin Merkel.
Nach dem Politikverständnis Dr. Lammerts entscheidet sich der Wert eines politischen Systems am Rang seines Parlaments. Regiert wird in jedem Land – unter welchen Bedingungen auch immer. Aber ob ein System politische Teilhabechancen eröffnet, ob in ihm der Bürgerwille repräsentiert, geachtet und umgesetzt wird, und ob es die Möglichkeit gibt, durch das Volk selber darüber zu entscheiden zu lassen, ob regiert wird und wie lange, das hängt davon ab, ob es ein Parlament gibt und welche Kompetenzen es hat. In einer lebendigen Demokratie ist das Parlament das zentrale Verfassungsorgan. Dafür ist es auch auf hohe Akzeptanz in der Bevölkerung angewiesen. Bundestagspräsident Dr. Lammert betrachtet daher den Ansehensverlust von Parlament und Politikern mit Sorge und sieht hierin eine der größten Herausforderungen seines Amtes. Die Gründe für diesen Ansehensverlust sind vielfältig, und sie hängen weder keineswegs nur mit dem Parlament und seiner Arbeitsweise zusammen, noch sind Parteien und Parlamente stets ausschließlich Opfer von böswilliger Kritik.
Mit freundlichen Grüßen