Sehr geehrter Herr Schoon,
vielen Dank, dass Sie uns Gelegenheit geben, hier auf eine Frage zu antworten, die viele Bürger beschäftigt: Warum ist das Plenum bei Sitzungen eigentlich nicht immer voll besetzt? Kümmern sich die fehlenden Abgeordneten etwa nicht um ihre Parlamentsarbeit?
Dieser Eindruck täuscht. Denn die im Fernsehen übertragenen Debatten und Abstimmungen im Plenum sind ja nur ein Teil der Parlamentsarbeit. Wenn ein Gesetz im Plenum diskutiert wird, ist die wesentliche Arbeit schon geleistet. Diese findet nämlich – für die Öffentlichkeit nicht immer sichtbar – in den Fachausschüssen statt. Hier werden Gesetzentwürfe intensiv diskutiert, Experten angehört und Argumente gegeneinander abgewogen.
Diese intensive Vorbereitung parlamentarischer Entscheidungen in einzelnen, themenbezogenen Fachausschüssen ist die Grundlage der parlamentarischen Arbeit. Denn die Entscheidungen, die im Bundestag zu treffen sind, sind meist sehr komplex und betreffen eine große Bandbreite von Themen. Kein Abgeordneter ist angesichts des großen Umfangs der im Plenum zu behandelnden Themen in der Lage, sich in jedes Thema auf der Tagesordnung mit der gebotenen Gründlichkeit einzuarbeiten. Ein Blick auf den Ablauf eines gewöhnlichen Plenartages mag das veranschaulichen:
Am Freitag, dem 27. Juni 2008, standen unter anderem das Gesetz zur Modernisierung der Rahmenbedingungen für Kapitalbeteiligungen, das Risikobegrenzungsgesetz, das Gesetz zur Reform des Verfahrens in Familiensachen, ein Gesetz zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch, ein Bericht des Petitionsausschusses, das Unfallversicherungsmodernisierungsgesetz, das Gesetz zur Neuregelung des Schornsteinfegermonopols und eine Mitteilung der EU-Kommission zu Europäischen Agenturen auf der Tagesordnung. Angesichts dieser Vielfalt von Themen, mit denen sich der Deutsche Bundestag innerhalb weniger Stunden befasst, sind bei den einzelnen Tagesordnungspunkten vor allem die Fachpolitiker der Fraktionen gefragt, die die Entscheidungen im jeweils zuständigen Ausschuss gründlich vorbereitet haben und im Detail Bescheid wissen. Aus diesem Grund nehmen an den Debatten im Plenum – die ja vor allem der Information der Öffentlichkeit dienen – insbesondere diejenigen Abgeordneten teil, die sich zuvor im Ausschuss in die entsprechende Materie eingearbeitet haben. Mit den Themen und Tagesordnungspunkten wechseln daher auch die Abgeordneten im Plenarsaal.
Vielleicht können Sie am Beispiel eines solchen Sitzungstages nachvollziehen, warum es sinnvoll und effizient ist, parlamentarische Entscheidungsprozesse arbeitsteilig zu organisieren. Die einzelnen Abgeordneten spezialisieren sich auf unterschiedliche Themengebiete, so dass die ganze Bandbreite politischer Entscheidungen abgedeckt wird und gleichzeitig zu jedem Thema die für die parlamentarische Arbeit notwendigen Detailkenntnisse vorhanden sind. Jeder Abgeordnete hat Spezialgebiete, für die er innerhalb seiner Fraktion Experte ist. Bei Entscheidungen, die nicht seinen Arbeitsbereich betreffen, muss er auf das Votum seiner Fraktionskollegen aus dem jeweiligen Fachausschuss vertrauen. Anders wäre es nicht möglich, in einem vertretbaren Zeitrahmen zu sachlich fundierten Entscheidungen zu gelangen.
Im Übrigen ist es sicherlich im Sinne der Bürgerinnen und Bürger, wenn ihre Wahlkreisabgeordneten die Zeit, in denen die Fachpolitiker im Plenum über das Schornsteinfegermonopol diskutieren, dazu nutzen, sich beispielsweise um Anliegen aus ihrem Wahlkreis, um Bürgerpost oder um die Vorbereitung der eigenen fachpolitischen Arbeit in Arbeitsgruppen, Ausschüssen und im Plenum kümmern.
Mit freundlichen Grüßen
Abteilung Presse und Kommunikation