Sehr geehrter Herr Dr. Kessler,
die Bundesrepublik Deutschland ist – anders als die DDR es war – ein demokratischer Rechtsstaat, in dem das Wahlrecht ein hohes, verfassungsrechtlich geschütztes Gut ist. Das trifft auch auf das passive Wahlrecht zu, das Recht, sich zur Wahl zu stellen sowie Ämter und Mandate auszuüben. Grundsätzlich darf jeder volljährige Deutsche bei der Wahl zum Bundestag wählen und gewählt werden. Dem Ausschluss von diesem demokratischen Grundrecht sind mit Bedacht sehr enge Grenzen gesetzt (vgl. Paragraf 13 sowie 15 des Bundeswahlgesetzes in Verbindung vor allem mit einschlägigen Bestimmungen des Strafgesetzbuchs, nähere Informationen unter http://www.wahlrecht.de/lexikon/ausschluss.html).
Die Tätigkeit für das Ministerium für Staatssicherheit war in vielen Fällen sicherlich moralisch fragwürdig. Davon unabhängig muss jedoch die rechtliche Bewertung erfolgen. Und danach verlieren auch ehemalige Mitarbeiter der Stasi „die Fähigkeit, öffentliche Ämter zu bekleiden und Rechte aus öffentlichen Wahlen zu erlangen“ (Paragraf 45 des Strafgesetzbuchs) nur unter den gesetzlich bestimmten Voraussetzungen.
Die historische Aufarbeitung der SED-Diktatur und des Wirkens des Ministeriums für Staatssicherheit ist über die juristische Dimension hinaus eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, der die deutsche Politik unter anderem mit der Einrichtung und Unterhaltung des Amtes der Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen Rechnung trägt. Der Bundestag selbst hat darüber hinaus für den eigenen Bereich die Möglichkeit geschaffen, Abgeordnete gemäß Paragraph 44 des Abgeordnetengesetzes auf eine frühere Tätigkeit für das Ministerium für Staatssicherheit bzw. das Amt für Nationale Sicherheit der DDR überprüfen – entweder auf Antrag des Abgeordneten selbst oder bei Vorliegen konkreter Verdachtsmomente durch Beschluss des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung. Das Ergebnis einer solchen Überprüfung beschränkt jedoch nicht die parlamentarischen Rechte des betreffenden Abgeordneten oder begründet gar eine Pflicht zur Mandatsniederlegung. Zweck dieser Überprüfungen ist es allein, Öffentlichkeit herzustellen und zur Aufklärung beizutragen.
Konsequenzen aus den getroffenen Feststellungen müssen der Betreffende, Parteien, Fraktionen und – nicht zuletzt – die Wählerinnen und Wähler jeweils für sich ziehen. Wer in den Bundestag gewählt wird, liegt letztlich in ihrer Hand.
Mit freundlichen Grüßen
Abteilung Presse und Kommunikation