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Beantwortet
Autor H. Kessler am 24. November 2008
11900 Leser · 480 Stimmen (-12 / +468)

Bundestagsabgeordnete

Wie ist so etwas möglich?

Sehr geehrter Herr Bundestagspräsident,

mit Entsetzen habe ich heute durch eine Nachricht im Internet davon Kenntnis erlangt, daß ein Abgeordneter im Deutschen Bundestag früher hauptamtlicher Mitarbeiter der STASI war. Wie ist so etwas möglich? Selbst in dem Sammelbecken für Kommunisten und Unbelehrbare, nämlich in der Partei „Die Linke“, ist der von ihr aufgestellte Kandidat Lutz Heilmann äußerst umstritten. Gibt es keine rechtliche Handhabe, um solchen Personen den Zugang zur obersten deutschen Volksvertretung zu verwehren? Wenn dem so ist, sollte man schleunigst eine Gesetzesinitiative starten, die solche Ungeheuerlichkeiten verbietet!

Mit großer Larmoyanz wurde zu Zeiten der deutschen Teilung das Ergebnis des vom sogenannten dritten „Deutschen Reich“ entfesselten 2. Weltkrieges beklagt, wodurch die sogenannte „DDR“ von der Sowjet Union „ins Leben“ gerufen wurde. Es bedarf keinerlei „Rechtsakrobatik“, um festzustellen, daß es sich hierbei um ein Unrechtsgebilde handelte, das mehr als 17 Millionen Menschen mit Gewalt in Gefangenschaft hielt und ihnen das „elementare Menschenrecht der Freizügigkeit“ verweigerte. Auf die Ebene der Individuen projiziert leuchtet jedem Menschen sofort ein, daß dies mit „kidnapping“ im Großformat gleichzusetzen war. Leider verlieren viele Menschen bei diesen Größenordnungen jedoch den Überblick und erkennen ein Unrecht, das auch noch mit einer Ideologie verbrämt wurde, nicht mehr als solches, obgleich es ihnen auf der Ebene des einzelnen Mitmenschen selbstverständlich ist.

So paradox es klingen mag, aber das sogenannte „Dritte Reich“ der Nationalsozialisten besaß mehr Legitimität als die sogenannte „DDR“, da es zumindest auf der Zustimmung der überwältigenden Mehrheit der damals offensichtlich „verblendeten“ Mehrheit der deutschen Bevölkerung basierte (die teilweise nachvollziehbaren Ursachen und Gründe für diese Verblendung sind ein Thema für sich). Der Unterdrückungs-Apparat der Nationalsozialisten war die „geheime Staatspolizei“ (GESTAPO). Dem entsprach in der sogenannten „DDR“ das „Ministerium für Staatssicherheit“ (MfS / genannt STASI). Ist es schon bedenklich, daß man vielen der sogenannten „inoffiziellen Mitarbeitern“ (IM), die für die „STASI“ tätig waren, nicht nachweisen kann, daß sie ihre Mitmenschen freiwillig und aus niedrigen Beweggründen bespitzelt haben, und daß man ihnen folglich aus rechtlichen Erwägungen (in dubio pro reo) auch nicht den Zugang zu Einrichtungen des Rechtsstaates vorenthalten kann, so verbietet es sich geradezu, ehemalige hauptamtliche Mitarbeiter der STASI, die niemals zu diesem „Dienst“ gezwungen worden waren, in das höchste Gremium der Bundesrepublik Deutschland wählen zu lassen. Das ist nicht nur blanker Hohn – vielmehr schlägt man mit deren Zulassung all den Menschen ins Gesicht, die unter dem verbrecherischen Terror der STASI gelitten haben und oft viele Jahre ihres Lebens in deren Gefängnissen einsaßen.

Vielleicht wäre es ratsam, auch in den übrigen Ländern der „freien Welt“ die Kunde von den heutigen Deutschen zu verbreiten, die es zulassen, daß die „langjährigen Peiniger“ ihrer Landsleute im Osten der gemeinsamen Heimat heute als „Volksvertreter“ in deren Parlament auftreten.

Ich kann es immer noch nicht fassen und bin aufs Äußerste schockiert.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. rer. pol. H. Joachim Kessler

+456

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Antwort
aus dem Bundestag am 06. März 2009
Bundestagspräsident

Sehr geehrter Herr Dr. Kessler,

die Bundesrepublik Deutschland ist – anders als die DDR es war – ein demokratischer Rechtsstaat, in dem das Wahlrecht ein hohes, verfassungsrechtlich geschütztes Gut ist. Das trifft auch auf das passive Wahlrecht zu, das Recht, sich zur Wahl zu stellen sowie Ämter und Mandate auszuüben. Grundsätzlich darf jeder volljährige Deutsche bei der Wahl zum Bundestag wählen und gewählt werden. Dem Ausschluss von diesem demokratischen Grundrecht sind mit Bedacht sehr enge Grenzen gesetzt (vgl. Paragraf 13 sowie 15 des Bundeswahlgesetzes in Verbindung vor allem mit einschlägigen Bestimmungen des Strafgesetzbuchs, nähere Informationen unter http://www.wahlrecht.de/lexikon/ausschluss.html).

Die Tätigkeit für das Ministerium für Staatssicherheit war in vielen Fällen sicherlich moralisch fragwürdig. Davon unabhängig muss jedoch die rechtliche Bewertung erfolgen. Und danach verlieren auch ehemalige Mitarbeiter der Stasi „die Fähigkeit, öffentliche Ämter zu bekleiden und Rechte aus öffentlichen Wahlen zu erlangen“ (Paragraf 45 des Strafgesetzbuchs) nur unter den gesetzlich bestimmten Voraussetzungen.

Die historische Aufarbeitung der SED-Diktatur und des Wirkens des Ministeriums für Staatssicherheit ist über die juristische Dimension hinaus eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, der die deutsche Politik unter anderem mit der Einrichtung und Unterhaltung des Amtes der Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen Rechnung trägt. Der Bundestag selbst hat darüber hinaus für den eigenen Bereich die Möglichkeit geschaffen, Abgeordnete gemäß Paragraph 44 des Abgeordnetengesetzes auf eine frühere Tätigkeit für das Ministerium für Staatssicherheit bzw. das Amt für Nationale Sicherheit der DDR überprüfen – entweder auf Antrag des Abgeordneten selbst oder bei Vorliegen konkreter Verdachtsmomente durch Beschluss des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung. Das Ergebnis einer solchen Überprüfung beschränkt jedoch nicht die parlamentarischen Rechte des betreffenden Abgeordneten oder begründet gar eine Pflicht zur Mandatsniederlegung. Zweck dieser Überprüfungen ist es allein, Öffentlichkeit herzustellen und zur Aufklärung beizutragen.

Konsequenzen aus den getroffenen Feststellungen müssen der Betreffende, Parteien, Fraktionen und – nicht zuletzt – die Wählerinnen und Wähler jeweils für sich ziehen. Wer in den Bundestag gewählt wird, liegt letztlich in ihrer Hand.

Mit freundlichen Grüßen

Abteilung Presse und Kommunikation