Sehr geehrte Frau Briege,
politisch motivierte Zwangsadoptionen in der DDR gehören ohne Frage zu den dunkelsten Kapiteln der SED-Herrschaft, die als Verletzung elementarer Persönlichkeitsrechte auch 17 Jahre nach der deutschen Einheit Abscheu und Entsetzen hervorrufen. Was die Entziehung des Erziehungsrechtes von – aus Sicht des DDR-Regimes – „politisch missliebigen Eltern“ für die Betroffenen bedeutet hat, wie viel Leid und zerbrochene Familienbande und zerstörtes Lebensglück damit für die leiblichen Eltern und Kinder verbunden war, lässt sich für Außenstehende nur erahnen. Dieses Unrecht lässt und ließ sich nach der deutschen Einheit mit den Mitteln des Rechtstaates auch nur bedingt lindern oder gar wiedergutmachen. Gleichwohl hat der Gesetzgeber nach 1989 versucht, das zu tun, was ihm möglich war.
Bereits der Einigungsvertrag sah die Möglichkeit vor, aufgrund von Anträgen bei Vormundschaftsgerichten durchgeführte Adoptionen gerichtlich überprüfen und gegebenenfalls aufheben zu lassen. Der Deutsche Bundestag hat 1991 die bestehende Antragsfrist um zwei weitere Jahre verlängert und dabei auch die Möglichkeit der Überprüfung auf alle ohne wirksame Einwilligung der leiblichen Eltern in der DDR erfolgten Adoptionen erweitert. Fakt ist auch, dass sich trotz dieser erweiterten Möglichkeiten und Fristen die Aufarbeitung der Adoptionsakten schwierig gestaltete, da die DDR-Behörden nach den ersten Medienberichten Mitte der 70er Jahre die politische Motivation von Zwangsadoptionen durch geschickteres Vorgehen zu verschleiern suchten. Dass die gerichtlichen Überprüfungen daher mitunter nicht immer zu einer Einzelfallgerechtigkeit führten und nicht jede rechtswidrige Zwangsadoption auch tatsächlich aufgehoben wurde, war und ist für die Betroffene gewiss schwer zu verstehen und zu ertragen.
Insgesamt betrachtet hat aus Sicht von Bundestagspräsident Dr. Lammert der deutsche Rechtsstaat in der strafrechtlichen Aufarbeitung von DDR-Verbrechen mit der für Opfer manchmal sicherlich schwer erträglichen, aber konsequenten Anwendung rechtsstaatlicher Prinzipien seine Haltung und seine Stärke bewiesen. Zu den Erfahrungswerten gehört aber auch: Recht und Gerechtigkeit stehen in einem durchaus spannungsreichen Verhältnis. Die anhaltenden und unbedingt notwendigen Debatten um die angemessene gesellschaftliche Aufarbeitung der DDR-Verbrechen, zu denen Sie mit Ihren Anmerkungen einen wichtigen Beitrag leisten, zeigen den beständigen Konflikt, dem unser Gerechtigkeitsgefühl gelegentlich ausgesetzt ist. Deshalb muss die gesellschaftliche Diskussion auch um das Thema Zwangsadoption weiter geführt werden. Dies kann jedoch nicht allein die Aufgabe der Politik sein, sondern hierzu bedarf es auch der Unterstützung durch Medien und zivilgesellschaftliches Engagement. Die Fernsehanstalten haben in letzter Zeit mit den Mitteln des Films, aber auch in den zurück liegenden Jahren mit den Mitteln der Dokumentation das Thema der Zwangsadoption in der DDR durchaus vereinzelt aufgegriffen. Dass Sie sich zudem darum bemühen, von der Zwangsadoption in der DDR Betroffene in einem Verein zusammenzuschließen, kann für die weitere Aufarbeitung des Themas nur hilfreich sein.
Der Bund unterstützt die Aufarbeitung des DDR-Unrechts weiterhin mit der 1998 gegründeten „Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur“. Sie fördert und berät Projekte der gesellschaftlichen Aufarbeitung von Opferverbänden, der Wissenschaft und der politischen Bildung, trägt zur Sicherung, Sammlung und Dokumentation von Materialien und Dokumenten insbesondere aus Widerstand und Opposition gegen die SED-Diktatur bei, unterstützt Beratung und Betreuung von Opfern politischer Verfolgung und vergibt Stipendien, darunter derzeit auch eines für eine Promotion, die sich mit dem Thema Zwangsadoptionen in der DDR befasst.
Darüber hinaus sei auf die erweiterten Zugangsrechte für nahe Angehörige im Bereich der privaten Akteneinsichten für Unterlagen des ehemaligen Ministeriums für Staatssicherheit mit Inkrafttreten des Siebten Gesetzes zur Änderung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes im Jahr 2006 hingewiesen. Das unter bestimmten Voraussetzungen bestehende Recht, Einsicht in die Unterlagen von Eltern zu nehmen, erstreckt sich bei Adoptivkindern nicht mehr nur auf ihre Adoptiv-, sondern auch auf ihre leiblichen Eltern. Dies gilt ebenso für leibliche Eltern, deren Kinder nach einer Adoption in einer anderen Familie aufwuchsen. Außerdem können jetzt Angehörige dritten Grades (Onkel, Tanten, Nichten und Neffen) einen Antrag auf Akteneinsicht stellen, falls die näher verwandten Familienmitglieder nicht mehr leben.
Mit freundlichen Grüßen