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Beantwortet
Autor Melanie Briege am 04. Oktober 2007
22303 Leser · 159 Stimmen (-9 / +150)

Aktuelles

Zwangsadoption in der ehemaligen DDR

Sehr geehrter Herr Bundestagspräsident,

ich würde Ihnen gern aus aktuellem Anlass eine Frage stellen.

Am Freitag kam der Film "Jutta Gallus - Die Frau vom Checkpoint Charlie" bei Arte und ich habe ihn mir angesehen.
Seit Wochen wird sehr viel über diesen Film berichtet, aber zu wenig über das eigentliche Thema "Zwangsadoptionen in der ehemaligen DDR".
Es ist jedoch enorm wichtig, das dieses Thema in die Medien kommt.
Seit Jahren versuchen Betroffene, Gleichgesinnte, Freunde dieses Thema in die Medien und damit in die öffentliche Diskussion zu bringen.
Warum?
Weil diese Menschen von der Öffentlichkeit und von der Politik vergessen werden.
Es werden Kommissionen zur Aufarbeitung der SED-Diktatur gegründet, doch die Opfer von Zwangsadoptionen suchen Sie darin vergebens. Sie gibt es nicht und was es nicht gibt, muss nicht aufgearbeitet werden.
So einfach ist das. Doch nicht für uns - für die Betroffenen selbst.
Diese Menschen haben soviel Leid erlebt, viele sind schwer krank und leben in bitterster Armut. Weil sie als Opfer nicht anerkannt sind, keine Entschädigung und keine Rente erhalten.
In einem Artikel zum Film heißt es: "6 Jahre von ihren Kindern getrennt.Es muss die Hölle gewesen sein!".
Ja, war es. Aber es gibt noch so viele, die ihre Kinder und Angehörigen heute noch suchen.
Auch meine Tochter und ich gehören zu diesen Opfern.
Eine Bekannte von mir hat ihre Söhne 25 Jahre gesucht und gefunden..
Darüber hat sie ein Buch geschrieben, das dieses Jahr im Juni veröffentlicht wurde.

Wir versuchen einen Verein zu gründen und anderen Opfern zu helfen. Nur interessiert das niemanden.
Wir haben sehr viele Minister und ehemalige Minister angeschrieben, die meisten haben nicht mal geantwortet.
Eine einzige ehemalige Ministerin hat Interesse gezeigt.
Auch die Presse interessiert sich für diese Themen nicht.
Wir haben (und das ist kein Witz!!!) alle Redaktionen in Deutschland angeschrieben!!!
Was meinen Sie, wieviel Antworten wir bekommen haben?
Ganze 3 Stück und auch die haben sich dann nicht mehr gemeldet.

Über dieses Thema muss noch viel mehr berichtet werden, mit dem Fokus auf Einzelschicksale.
Man müsste Institutionen und Menschen finden, die bereit sind bei der Suche zu helfen.
Seit dieser Buchveröffentlichung bekommt meine Bekannte jede Menge Emails von verzweifelten Eltern, Kindern etc. die ihre Angehörigen suchen und sie weiß nicht was sie diesen Menschen antworten soll.

Wissen Sie wie schlimm das ist, wenn man nicht helfen kann?
Deshalb wäre es ungeheuer wichtig, dieses Thema auch aus anderen Blickwinkeln zu sehen.

Und es ist ungeheure wichtig, das die Politik und die Politiker endlich eine andere Sichtweise zu diesen Themen bekommen.

Viele dieser Betroffenen erhalten auch keine Entschädigung weil sie teilweise nicht nachweisen können(oder offensichtlich blockiert werden), das die Wegnahme der Kinder politischer Natur war.

Sehr geehrter Herr Bundestagspräsident,

unter diesen Hilfe suchenden sind auch eine Frau und ein Mann, die beide in den 80ziger Jahren in einem Spezialkinderheim für Traumatisierte Jugendliche waren.
Beide wurden in diesem Kinderheim zwangssterilisiert. Angeblich zu "ihrem eigenen Wohl"!
Beide waren damals 17 und 18 Jahre alt!!!

War oder ist Ihnen bekannt, das in diesem Kinderheim ca. 50 Jugendliche zwangssterilisiert worden sind?
Nein?
Ich habe in der Zwischenzeit die Geschichte dieser beiden armen Menschen gehört und glauben Sie mir, mir sind die Tränen in Bächen übers Gesicht. gelaufen.
Ausserdem gibt es auch Menschen, die als Kinder zu medizinischen Experimenten missbraucht wurden in der DDR.

Was soll man diesen Menschen sagen? Wo soll man sie hin schicken, damit sie Hilfe bekommen?
Ich weiß es nicht.
Wissen Sie es?

Ich weiß nur ganz sicher, das dringend etwas für all diese Menschen getan werden muss.
Und diese Themen müssen in die Medien und damit an die Öffentlichkeit .

Sehr geehrter Herr Bundestagspräsident,

Wann wird die Bundesregierung etwas für diese Betroffenen tun?
Wird sie überhaupt etwas tun?

.

Hochachtungsvoll
Melanie Briege




+141

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Antwort
aus dem Bundestag am 26. Oktober 2007
Bundestagspräsident

Sehr geehrte Frau Briege,

politisch motivierte Zwangsadoptionen in der DDR gehören ohne Frage zu den dunkelsten Kapiteln der SED-Herrschaft, die als Verletzung elementarer Persönlichkeitsrechte auch 17 Jahre nach der deutschen Einheit Abscheu und Entsetzen hervorrufen. Was die Entziehung des Erziehungsrechtes von – aus Sicht des DDR-Regimes – „politisch missliebigen Eltern“ für die Betroffenen bedeutet hat, wie viel Leid und zerbrochene Familienbande und zerstörtes Lebensglück damit für die leiblichen Eltern und Kinder verbunden war, lässt sich für Außenstehende nur erahnen. Dieses Unrecht lässt und ließ sich nach der deutschen Einheit mit den Mitteln des Rechtstaates auch nur bedingt lindern oder gar wiedergutmachen. Gleichwohl hat der Gesetzgeber nach 1989 versucht, das zu tun, was ihm möglich war.

Bereits der Einigungsvertrag sah die Möglichkeit vor, aufgrund von Anträgen bei Vormundschaftsgerichten durchgeführte Adoptionen gerichtlich überprüfen und gegebenenfalls aufheben zu lassen. Der Deutsche Bundestag hat 1991 die bestehende Antragsfrist um zwei weitere Jahre verlängert und dabei auch die Möglichkeit der Überprüfung auf alle ohne wirksame Einwilligung der leiblichen Eltern in der DDR erfolgten Adoptionen erweitert. Fakt ist auch, dass sich trotz dieser erweiterten Möglichkeiten und Fristen die Aufarbeitung der Adoptionsakten schwierig gestaltete, da die DDR-Behörden nach den ersten Medienberichten Mitte der 70er Jahre die politische Motivation von Zwangsadoptionen durch geschickteres Vorgehen zu verschleiern suchten. Dass die gerichtlichen Überprüfungen daher mitunter nicht immer zu einer Einzelfallgerechtigkeit führten und nicht jede rechtswidrige Zwangsadoption auch tatsächlich aufgehoben wurde, war und ist für die Betroffene gewiss schwer zu verstehen und zu ertragen.

Insgesamt betrachtet hat aus Sicht von Bundestagspräsident Dr. Lammert der deutsche Rechtsstaat in der strafrechtlichen Aufarbeitung von DDR-Verbrechen mit der für Opfer manchmal sicherlich schwer erträglichen, aber konsequenten Anwendung rechtsstaatlicher Prinzipien seine Haltung und seine Stärke bewiesen. Zu den Erfahrungswerten gehört aber auch: Recht und Gerechtigkeit stehen in einem durchaus spannungsreichen Verhältnis. Die anhaltenden und unbedingt notwendigen Debatten um die angemessene gesellschaftliche Aufarbeitung der DDR-Verbrechen, zu denen Sie mit Ihren Anmerkungen einen wichtigen Beitrag leisten, zeigen den beständigen Konflikt, dem unser Gerechtigkeitsgefühl gelegentlich ausgesetzt ist. Deshalb muss die gesellschaftliche Diskussion auch um das Thema Zwangsadoption weiter geführt werden. Dies kann jedoch nicht allein die Aufgabe der Politik sein, sondern hierzu bedarf es auch der Unterstützung durch Medien und zivilgesellschaftliches Engagement. Die Fernsehanstalten haben in letzter Zeit mit den Mitteln des Films, aber auch in den zurück liegenden Jahren mit den Mitteln der Dokumentation das Thema der Zwangsadoption in der DDR durchaus vereinzelt aufgegriffen. Dass Sie sich zudem darum bemühen, von der Zwangsadoption in der DDR Betroffene in einem Verein zusammenzuschließen, kann für die weitere Aufarbeitung des Themas nur hilfreich sein.

Der Bund unterstützt die Aufarbeitung des DDR-Unrechts weiterhin mit der 1998 gegründeten „Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur“. Sie fördert und berät Projekte der gesellschaftlichen Aufarbeitung von Opferverbänden, der Wissenschaft und der politischen Bildung, trägt zur Sicherung, Sammlung und Dokumentation von Materialien und Dokumenten insbesondere aus Widerstand und Opposition gegen die SED-Diktatur bei, unterstützt Beratung und Betreuung von Opfern politischer Verfolgung und vergibt Stipendien, darunter derzeit auch eines für eine Promotion, die sich mit dem Thema Zwangsadoptionen in der DDR befasst.

Darüber hinaus sei auf die erweiterten Zugangsrechte für nahe Angehörige im Bereich der privaten Akteneinsichten für Unterlagen des ehemaligen Ministeriums für Staatssicherheit mit Inkrafttreten des Siebten Gesetzes zur Änderung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes im Jahr 2006 hingewiesen. Das unter bestimmten Voraussetzungen bestehende Recht, Einsicht in die Unterlagen von Eltern zu nehmen, erstreckt sich bei Adoptivkindern nicht mehr nur auf ihre Adoptiv-, sondern auch auf ihre leiblichen Eltern. Dies gilt ebenso für leibliche Eltern, deren Kinder nach einer Adoption in einer anderen Familie aufwuchsen. Außerdem können jetzt Angehörige dritten Grades (Onkel, Tanten, Nichten und Neffen) einen Antrag auf Akteneinsicht stellen, falls die näher verwandten Familienmitglieder nicht mehr leben.

Mit freundlichen Grüßen