Liebe Besucherinnen und Besucher,

seit 2006 beantwortete das Bundespresseamt Ihre Fragen auf dieser Plattform im Auftrag der deutschen Bundeskanzlerin. Im Zuge einer Neustrukturierung entwickelt das Bundespresseamt sein originäres Angebot weiter im Sinne eines Bürgerservices mit Dialogmöglichkeiten. Auf dieser Plattform wurden am Montag, den 30. April 2018, die letzten drei Fragen beantwortet. Neue Beiträge und Kommentare werden nicht mehr veröffentlicht.

Wir danken Ihnen für Ihre rege Teilnahme auf www.direktzurkanzlerin.de.

Ihr Moderationsteam

Beantwortet
Autor Laura Groß am 16. August 2008
21002 Leser · 0 Kommentare

Gesundheit

Wann wird Cannabis zur medizinischen Nutzung legalisiert?

Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin,

im Vorfeld der Anhörung im Gesundheitsausschuss am 15. Oktober 2008 zur medizinischen Verwendung von Cannabisprodukten möchte ich Ihnen einige Fragen stellen. Zu Ihrer Information: Diese oder andere Fragen erhalten auch andere Mitglieder des Gesundheitsausschusses. Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Frau Sabine Bätzing, sowie die drogenpolitischen Sprecher der Fraktionen wurden öffentlich über abgeordnetenwatch.de befragt.

- Was sagen Sie dazu, dass es bei der medizinischen Verwendung von Cannabisprodukten eine Zweiklassenmedizin gibt? Vermögende Patienten können sich Dronabinol für alle Indikationen, für die der Arzt es als sinnvoll erachtet, auf einem Privatrezept verschreiben lassen, während weniger betuchte Patienten in die Illegalität gezwungen werden, wenn sie sich ohne Erlaubnis des BfArM mit Cannabisprodukten behandeln, auch wenn ihr Arzt ihnen bei entsprechender Rechtslage diese Behandlung empfehlen würde?

- In den Niederlanden ist Cannabis auf ärztliche Verschreibung in Apotheken erhältlich. In Kanada erteilt das Gesundheitsministerium Patienten mit einer entsprechenden ärztlichen Empfehlung eine Ausnahmegenehmigung zur medizinischen Verwendung von Cannabis. In beiden Fällen sind die betroffenen Patienten nicht mehr gezwungen, sich Cannabis auf dem Schwarzmarkt zu besorgen, sodass keine Gefahr besteht, dass sie sich gestrecktem und verunreinigtem Cannabis oder Cannabis unbekannter Qualität aussetzen. Wie beurteilen Sie die gesundheitlichen Risiken für deutsche Patienten, die sich aufgrund der gegenwärtigen Gesetzeslage auf dem illegalen Markt mit Cannabisprodukten versorgen?

- Ein Opiumextrakt kann in Deutschland auf einem Betäubungsmittelrezept verschrieben werden. Er wird vor allem zur Behandlung starken Durchfalls eingesetzt. Halten Sie Opium oder Cannabis aus gesundheitlicher Sicht für gefährlicher? Ist nach Ihrer Kenntnis die therapeutische Wirksamkeit von Opium zur Behandlung der Diarrhoe oder von Cannabis zur Behandlung neuropathischer Schmerzen besser durch doppelblinde kontrollierte klinische Studien erforscht?

- Der Cannabiswirkstoff Dronabinol wird von den gesetzlichen Krankenkassen wegen fehlender Wirksamkeitsnachweise im Allgemeinen nicht erstattet. Was sagen Sie zu der Situation, dass mit Ausnahme von Dronabinol beispielsweise die Behandlungskosten für andere, für die Indikation Tourette-Syndrom ebenfalls nicht zugelassene Medikamente (Risperidon, Aripiprazol, etc.) von den Krankenkassen ohne Beanstandungen erstattet werden? Im Gegensatz zu Dronabinol, dessen Wirksamkeit beim Tourette-Syndrom in einigen kleinen Studien an der Medizinischen Hochschule Hannover nachgewiesen wurde, gibt es beispielsweise keine Studien mit Aripiprazol beim Tourette-Syndrom.

- Das Bundesverwaltungsgericht schreibt in seinem Urteil vom 19. Mai 2005 (BVerwG 3 C 17.04): "In das Recht auf körperliche Unversehrtheit kann nicht nur dadurch eingegriffen werden, dass staatliche Organe selbst eine Körperverletzung vornehmen oder durch ihr Handeln Schmerzen zufügen. Der Schutzbereich des Grundrechts ist vielmehr auch berührt, wenn der Staat Maßnahmen ergreift, die verhindern, dass eine Krankheit geheilt oder wenigstens gemildert werden kann." Sollte ein 50-jähriger chronischer Schmerzpatient, der durch Cannabisprodukte Linderung erfährt, auf Empfehlung seines Arztes Cannabis verwenden dürfen?

- Wie beurteilen Sie die Ergebnisse einer Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach aus dem Jahr 2006 zur medizinischen Verwendung von Cannabisprodukten. Danach sprechen sich 77 Prozent der Deutschen dafür aus, eine Behandlung von Schwerkranken mit natürlichen Cannabisprodukten, wie Marihuana oder Haschisch, zuzulassen. Voraussetzung ist, dass der Arzt dies befürwortet. Lediglich 11 Prozent würden dies verbieten.

Wenn Sie nicht vollständig durch klinische Studien davon überzeugt sind, dass Cannabis Schwerkranken hilft, möchte ich Sie darum bitten, zumindest die begründete Unsicherheit zuzulassen, dass es so sein könnte. Ich möchte Sie bitten, einer juristischen Tradition folgend, in diesem Zweifelsfall gesetzgeberische Milde zu Gunsten der Angeklagten und Strafverfolgten walten zu lassen.

Vielen Dank für Ihre Unterstützung und freundliche Grüße

Laura Groß

Antwort
im Auftrag der Bundeskanzlerin am 30. September 2008
Angela Merkel

Sehr geehrte Frau Groß,

vielen Dank für Ihre Anfrage, die wir im Auftrag der Bundeskanzlerin beantworten.

Bei der medizinischen Verwendung von Produkten auf Cannabis-Basis handelt es sich um ein sehr komplexes Themengebiet. Es bedarf einer sehr sorgfältigen Analyse und Diskussion auf politischer wie fachlicher Ebene. Der Gesundheitsausschuss des Deutschen Bundestages befasst sich bereits eingehend damit und wird am 15. Oktober 2008 eine öffentliche Anhörung dazu durchführen. Die Diskussion wird dann auf dieser Basis und unter Berücksichtigung des aktuellen Erkenntnisstandes fortgeführt.

Neben der Verschreibung Dronabinol-haltiger Arzneimittel können schwerkranke Patienten in begründeten Fällen bereits heute beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) eine Erlaubnis zum Erwerb anderer Cannabis-haltiger Produkte für eine medizinisch betreute Selbsttherapie beantragen. Damit hat die Bundesregierung eine legale Option eröffnet, die dem besonderen Versorgungsbedarf einzelner Patientinnen und Patienten Rechnung trägt.

Mit freundlichen Grüßen

Ihr

Presse- und Informationsamt der Bundesregierung