Liebe Besucherinnen und Besucher,

seit 2006 beantwortete das Bundespresseamt Ihre Fragen auf dieser Plattform im Auftrag der deutschen Bundeskanzlerin. Im Zuge einer Neustrukturierung entwickelt das Bundespresseamt sein originäres Angebot weiter im Sinne eines Bürgerservices mit Dialogmöglichkeiten. Auf dieser Plattform wurden am Montag, den 30. April 2018, die letzten drei Fragen beantwortet. Neue Beiträge und Kommentare werden nicht mehr veröffentlicht.

Wir danken Ihnen für Ihre rege Teilnahme auf www.direktzurkanzlerin.de.

Ihr Moderationsteam

Beantwortet
Autor Raquel Gall am 05. November 2008
17205 Leser · 0 Kommentare

Soziales

Hartz IV wird wegen Schülerbafög abgezogen?

Wer kontrolliert die Job Center?

Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin,

seit einiger Zeit schon beunruhigt mich die Sozialpolitik sehr. Besonders nach der Arbeitsmarktreform "Hartz IV" und ihren Konsequenzen.
Die neuen Gesetze sollten ursprünglich dazu dienen, Sozialbetrug zu vermeiden, deshalb werden Hartz-IV Empfänger sehr stark kontrolliert, müssen jede kleinste Änderung per Antrag bekannt geben, und sobald irgendeine mögliche zweite Geldquelle erkannt wird, wird das Geld erstmal vorläufig einbehalten.
Das Problem, welches ich hierdrin sehe und auch aus praktischer Erfahrung kenne, besteht darin, dass das Job Center, die für Hartz IV zuständige Institution, zu wenig seitens der Regierung kontrolliert wird.

Meine Frage lautet deshalb: Warum ist es nicht möglich, dass die Regierung die Einhaltung und Umsetzung der Hartz-Gesetze stärker in den Bundesländern kontrolliert? Warum wird denn nicht wenigstens stärker auf einheitliche Regelungen in den Ländern gepocht und diese auch von der Regierung kontrolliert?

Dadurch steht Willkür an der Tagesordnung des Job Centers, die Voraussetzungen für die Bewilligung bestimmter Anträge sind in jedem Landkreis unterschiedlich - und noch viel schlimmer -sie ändern sich stetig, sodass Hartz IV Empfänger gezwungen sind, wegen dieser sehr variablen Vorgaben, z.B. quer durch das Land umzuziehen.
Seit der Einführung von Hartz IV haben meine Familie und ich etwa vier Umzüge zu verzeichnen, selten mit einer Entfernung von unter 100 Kilometern.Diese Regelung ist aber nur eines von vielen Beispielen, die sehr deutlich bestätigen, dass das System "Hartz IV" sein Ziel gnadenlos verfehlt hat.

Nun aber zum eigentlichen Problem: Die Willkür der einzelnen Landkreise raubt den Kindern von Hartz-IV Empfängern jegliche soziale und berufliche Aufstiegsmöglichkeit.
Das Schüler-Bafög, das eigentlich dazu dienen sollte, Jugendlichen in ihrer Ausbildung finanziell zu unterstützen, um eine optimale Bildung zu erreichen und einen Berufseinstieg zu ermöglichen, wurde dank der Willkür eines Job-Centers in Niedersachsen einer Großfamilie zum Verhängnis.
Zwei Monate lang durfte ich in meiner Ausbildung Bafög erhalten, dann schrieb das JobCenter meiner Mutter, die Hartz IV bezieht, einen Brief - und kündigte den Einbehalt des ALG II an, bis der Betrag - exakt in der Höhe des Bafög - "abbezahlt" sei.
Auf den extremen Verlust der Lebensqualität nimmt jedoch niemand Rücksicht. Das JobCenter pocht auf seiner Forderung, während meine Familie nun überlegen darf, wovon wir die nächsten Monate leben sollen.

Kann sich ein Staat, der sich selbst "Sozialstaat" nennt, so etwas erlauben? Ist solch eine Handlung gesetzlich noch zu rechtfertigen?

Ich jedenfalls finde es traurig, dass eine Großfamilie auf diese Art und Weise in die Verzweiflung getrieben wird und ich als Hochbegabte, die zwei Klassen übersprungen hat, in diesem Land weder die Möglichkeit hatte, Abitur zu machen (ich fehlte aus gesundheitlichen Gründen, und trotz ärztlicher Attestierung und guter Noten bekam ich Sechsen... wegen des NSchG. So kann man Hochbegabte auch psychisch fertigmachen.) noch in ihrem Traumberuf - als Ergotherapeutin - zu arbeiten (wenn niemand die Willkür des JobCenters stoppt, darf entweder ich meine Ausbildung abbrechen oder meine Familie hungern).
Das Schlimmste daran ist, dass der Einstieg in soziale Berufe auf diese Art und Weise für Kinder von Hartz-IV Empfängern völlig verweigert wird, denn medizinische Ausbildungen werden leider nur von privaten Schulträgern angeboten und sind daher ein hoher Kostenfaktor. Das kann nicht gerecht sein.

Ebenso traurig ist, dass eine weitere Schülerin ebenfalls aus Niedersachsen , die in den Ferien freiwillig die eigene Schule putzen musste, um sich die Kursfahrten und Schulmaterial leisten zu können, und am Ende das JobCenter ihrer Mutter fast den doppelten Betrag abzog.

Ich hoffe, Sie nehmen sich bald meinem Anliegen an und sorgen wieder für etwas mehr soziale Gerechtigkeit in diesem Land.

Mit freundlichen Grüßen

Raquel Gall

Antwort
im Auftrag der Bundeskanzlerin am 05. Dezember 2008
Angela Merkel

Sehr geehrte Frau Gall,

vielen Dank für Ihre Zuschrift, die wir im Auftrag der Bundeskanzlerin beantworten.

Ihre pauschalen Vorwürfe, in den Jobcentern stehe Willkür auf der Tagesordnung, weisen wir zurück. Vor Ort leisten viele Tausend Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Arbeitsagenturen und Jobcentern engagierte Arbeit für die Arbeitslosen und sozial Bedürftigen. Auch wird durch Hartz IV niemand gezwungen, dauernd umzuziehen oder gar quer durchs Land zu ziehen. Zudem findet sehr wohl eine Kontrolle durch Bund und Länder statt.

Damit zu Ihrem eigentlichen Anliegen, der Ausbildungsförderung: Nur wenn Auszubildende bedürftig sind, ist der Einsatz von Steuermitteln gerechtfertigt. Ausbildungsförderung nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) kann also nur dann gewährt werden, wenn Auszubildenden die Mittel, die für ihren Lebensunterhalt und ihre Ausbildung erforderlich sind, nicht anderweitig zur Verfügung stehen. Das eigene Einkommen und Vermögen der Auszubildenden sowie das Einkommen ihrer etwaigen Ehegatten und ihrer Eltern sind daher in dieser Reihenfolge grundsätzlich anzurechnen. Das gilt auch für das Arbeitslosengeld II Ihrer Mutter. Vom Gesetz gewährte Freibeträge führen jedoch in vielen Fällen dazu, dass sich damit die Förderung nicht oder nur in beschränktem Umfang vermindert.

Möglicherweise gibt es auch weitere Sozialleistungen und Unterstützungshilfen, auf die Sie Anspruch haben. Sie sollten Ihre persönliche Situation daher noch einmal mit den zuständigen Stellen vor Ort besprechen.

Der Bundesregierung ist bewusst, dass es noch zu viele Menschen in Deutschland gibt, die auf Sozialleistungen des Staates angewiesen sind. Unter ihnen viele Kinder und Jugendliche, die von der finanziellen Notlage ihrer Eltern besonders betroffen sind. Ein zentrales Ziel der Bundesregierung ist es daher, die Chancen dieser jungen Menschen auf Bildung, Ausbildung, Wohnen und Gesundheit zu verbessern. Mit der Kindergelderhöhung, der Erhöhung des Wohngeldes zum 1. Januar 2009 und dem verbesserten Kinderzuschlag, der bereits in Kraft getreten ist, tragen wir dazu bei.

Mit freundlichen Grüßen

Ihr

Presse- und Informationsamt der Bundesregierung