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Beantwortet
Autor Matthias Thöns am 30. März 2009
26401 Leser · 0 Kommentare

Gesundheit

Kassen verweigern Sterbenden Recht auf spezialisierte Sterbebegleitung

Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin,
Sie haben ein gutes Gesetz geschaffen: Sterbende Menschen in Deutschland haben seit zwei Jahren das Recht auf eine umfassende Sterbebegleitung in der häuslichen Umgebung durch „Palliativteams“ aus Ärzten und Pflegepersonal. Leider müssen Sterbende diesen Rechtsanspruch einklagen, da viele Krankenkassen bis heute dieses Gesetz (SAPV, § 132d SGB V) ignorieren. Sie weigern sich, die Kosten zu übernehmen! Kann Ihre Ministerin durch eine sogenannte „Ersatzvornahme“ die Krankenkassen anweisen, mit Palliativteams Verträge nach § 132 d abzuschließen?
Die Palliativteams erfüllen den Wunsch der Menschen „Zuhause zu bleiben, wenn es einmal so weit ist“ – und ersparen Sterbenden Schmerzen, Luftnot und Angst. Zudem sorgen sie dafür, dass die ambulante Palliativversorgung wesentlich kostengünstiger ist als die stationäre Betreuung, die einer aktuellen Studie im Bereich des Palliativnetzes Bochum e.V. zufolge nur in 15 Prozent der Fälle notwendig ist.
Jeden Tag sterben in Deutschland 230 Mitbürger die diese ambulante Palliativversorgung benötigen – sie aber nicht bekommen, weil viele Krankenkassen sich gesetzeswidrig verhalten und die Versorgung nicht bezahlen. So stehen viele Palliativteams – die sich bislang aus Spenden („statt Kränzen bitten wir um eine Spende für das Palliativnetz“) finanzieren – vor dem Aus. In vielen Regionen bilden sich keine Teams, weil die Ärzte und Pflegekräfte sich nicht erlauben können, ihre Arbeit unentgeltlich zu leisten. Die ambulante Palliativversorgung in Deutschland zählt heute – zwei Jahre nach Einführung des besten Gesetzes zur würdigen Sterbebegleitung in Europa – zum unteren Mittelmaß.
Vielen Betroffenen bleibt nur der Weg vors Sozialgericht. Da es sich um einen persönlichen Rechtsanspruch handelt, können nur die sterbenden Menschen selbst diesen Anspruch vor Gericht durchsetzen. Durchschnittlich einer von vieren stirbt, bevor das bislang stets positive Urteil verkündet wird, selbst wenn die Sozialgerichte im Eilverfahren arbeiten. Ich finde, das ist ein skandalöses Verhalten dieser Krankenkassen und ein verachtenswerter Triumph, den sie gegen ihre Versicherten erringen.
Offensichtlich stellen die Krankenkassen den Sachverhalt gegenüber Ihrer Ministerin anders dar. Denn in der Bundestagsdrucksache 16(14)0449 heißt es: „Nach Auskunft der Krankenkassen erhalten alle Versicherten die neue Leistung, die den Anspruch auf SAPV geltend machen. Da in der Regel noch kein Vertrag vorliegt, wird die Leistung im Rahmen der Kostenerstattung abgerechnet.“ Ich kann Ihnen zahlreiche Krankenkassen nennen, die sich an diese Zusage nicht halten und es auf Gerichtsprozesse ankommen lassen. Berichte sind unter www.sapv.de einzusehen.
Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin, Sie haben ein gutes Gesetz erstellt, das Beste Europas! Leider wird es von vielen Krankenkassen ignoriert. Bitte sprechen Sie ein Machtwort, dass Krankenkassen sich an dieses Gesetz halten und es nicht blockieren. Palliativteams müssen solide und seriös finanziert werden. Es darf nicht sein, dass die Rechte der Schwächsten der Gesellschaft – der Sterbenden – missachtet werden. Denn fast jeder braucht diese Versorgung eines Tages, ob für sich selbst, für Vater, Mutter oder Kinder – das ist so sicher wie der Tod.

Mit freundlichen Grüßen
Dr. Matthias Thöns, Arzt im Palliativnetz Bochum e.V.

Antwort
im Auftrag der Bundeskanzlerin am 23. April 2009
Angela Merkel

Sehr geehrter Herr Dr. Thöns,

vielen Dank für Ihre E-Mail, die wir im Auftrag der Bundeskanzlerin beantworten.

Es ist richtig, dass sterbende Menschen - wie Sie schreiben - in Deutschland seit zwei Jahren das Recht auf eine umfassende Sterbebegleitung in der häuslichen Umgebung haben.

Viele Patienten mit schwersten Schmerzzuständen, für die es keine Heilungsaussichten mehr gibt, wünschen zu Hause in ihrer vertrauten Umgebung betreut zu werden und sterben zu können. Sie möchten nicht allein gelassen werden, nicht unter Schmerzen leiden müssen und eine möglichst gute Lebensqualität bis zum Tod zu haben

Die Umsetzung des Rechtsanspruchs auf Palliativversorgung liegt vernünftigerweise in den Händen der Selbstverwaltung. In der Pflicht sind besonders die gesetzlichen Krankenkassen. Sie müssen für eine flächendeckende palliative Versorgung sorgen. Dass es hierbei trotz einer klaren gesetzlichen Regelung offensichtlich derzeit noch Defizite gibt, nimmt die Bundesregierung nicht hin.

Deshalb setzt sich die Bundesgesundheitsministerin mit allen ihren Möglichkeiten dafür ein, dass das Gesetz umgesetzt wird und endlich mehr Verträge zur palliativen Versorgung geschlossen werden. Das muss in der Tat noch zügiger geschehen. Die Kassen müssen sich bewegen.

Mit freundlichen Grüßen

Ihr
Presse- und Informationsamt der Bundesregierung