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Beantwortet
Autor Gabriela Fenyes am 08. März 2013
10194 Leser · 1 Kommentar

Außenpolitik

Antisemitismus/Rassismus in Ungarn

Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin,

mit großer Sorge und Bestürzung verfolge ich die ungarische Innenpolitik, der öffentlich sichtbare Antisemitismus, Rassismus, die Verfolgung von Minderheiten. Nun wurde auch bekannt, dass eine Jobbik-nahe Studentenvertretung Erstsemester an der ELTE- Eliteuniversität "aussiebt", deren Namen auf eine "jüdische Abstammung" hindeuten könnten (s. Jüdische Allgemeine vom 7. März 2013). Juden bitten die Wiener Gemeinde um Hilfe. Juden trauen sich nicht mehr, offen zu reden oder zu telefonieren. Ich spreche aus eigener Erfahrung.
Ich möchte die Liste der Ungeheuerlichkeiten nicht weiter aufführen.
Ich bittte Sie eindringlich, weisen Sie die ungarische Regierung scharf in ihre Schranken und veranlassen Sie bitte, dass die Europäische Union Sanktionen verhängt, gute Worte helfen nichts mehr. Ungarn können wir in der EU nicht gebrauchen, so wie sich das Land gegenwärtig präsentiert.
Ich weiß, wovon ich spreche. Ich bin 1947 in Deutschland geboren. Meine Familie stammt aus Ungarn, wir sind Juden. Die gesamte Familie meiner Eltern wurde umgebracht. Mein Vater heiratete nach der Befreiung in Ahlem, meine Mutter, die in Bergen-Belsen befreit wurde. Meine Schwester und ich tragen die Namen der ermordeten Kinder meines Vaters. Das ist eine Bürde, aber auch eine Verantwortung, aufzuschreien, wenn demokratische Grundregeln verletzt bzw. mit Füssen getreten werden.
Bitte, Frau Bundeskanzlerin, auch wenn die ungarische Regierungspartei zu Ihrem politischen Lager zugerechnet wird, bitte, lassen Sie es nicht zu, das Juden in Europa wieder Angst haben müssen, bzw. "aussortiert" werden.
Besten Dank im Voraus.
Freundliche Grüße und alle guten Wünsche für Ihr persönliches Wohlergehen.

Gabriela Fenyes

Antwort
im Auftrag der Bundeskanzlerin am 08. April 2013
Angela Merkel

Sehr geehrte Frau Fenyes,

vielen Dank für Ihre Mail, die wir im Auftrag der Bundeskanzlerin beantworten.

Bundeskanzlerin Merkel hat sich immer wieder eindeutig gegen Antisemitismus ausgesprochen – sowohl in Deutschland wie auch in anderen Ländern. Als sie am 28. November letzten Jahres den Heinz-Galinski-Preis verliehen bekam, hat sie sich dazu geäußert: „Jedem muss klar sein: Antisemitismus ist eine Schande für unser Land. Dafür darf kein Platz in unserem Land, in Deutschland, sein. Das gilt im Übrigen nicht nur für Deutschland. Nirgendwo auf der Welt darf dafür ein Platz sein.“ Der Kampf gegen Antisemitismus, gegen Fremdenfeindlichkeit und Rassismus ist eine klare Richtschnur für die Bundesregierung. Der Einsatz für Verständigung und Toleranz hört an den Grenzen unseres Landes nicht auf.

Die Situation in anderen Ländern wird sehr sorgfältig beobachtet – auch in EU-Partnerstaaten wie Ungarn. So haben sowohl die Bundesregierung als auch die EU-Kommission im Zusammenhang mit der neuen ungarischen Verfassung deutlich gemacht, dass es in der Verfassungspraxis darauf ankommen wird, dass Minderheiten in keiner Weise diskriminiert werden.

Ungarn ist nach EU-Recht verpflichtet, Anstiftung zu Gewalt und Hass gegen Menschen anderer Rasse oder Religion, nationaler oder ethnischer Herkunft strafrechtlich zu verfolgen. Die EU überwacht die Einhaltung dieser Vorschriften und kann einschreiten, wenn es Anlass dazu gibt.

Es sind vor allem Äußerungen der Partei „Jobbik“, die in Ungarn Sorge auslösen. Darüber hinaus ist Antisemitismus eine Herausforderung für die Gesellschaft. Alle Ungarn sollten sich des Werts der Freiheit bewusst sein und sich für Verständnis und Toleranz einsetzen.

Die ungarische Regierung und Ministerpräsident Orbán selbst haben gerade in jüngster Zeit regelmäßig und klar gegen Antisemitismus und die Partei „Jobbik“ Stellung bezogen. Anlässlich des Holocaust-Gedenktages im Januar haben Ministerpräsident Orbán und Staatspräsident Áder jede Form von Antisemitismus verurteilt.

Die Regierung hat das Wallenberg-Gedenkjahr 2012 genutzt, um mit zahlreichen Veranstaltungen einen Kontrapunkt zu den immer wieder formulierten Antisemitismus-Vorwürfen gegenüber Ungarn zu setzen. 2014 jährt sich die Vernichtung der ungarischen Juden zum 70. Mal. Das Jahr soll daher im Zeichen der Auseinandersetzung mit der Vergangenheit und der Erinnerung stehen.

Die Bundesregierung nimmt die ungarische Regierung beim Wort. Das heißt auch, dass der Einsatz gegen Rassismus und Antisemitismus nicht nur in Reden erfolgen darf. Die Freiheit muss jeden Tag aufs Neue gesichert werden. Dieser Aufgabe muss sich die ungarische Regierung stellen. In ihren Kontakten mit Vertretern des Landes macht die Bundesregierung dies deutlich.

Mehr Informationen:

http://www.bundeskanzlerin.de/Content/DE/Artikel/2011/10/...

http://www.bundesregierung.de/Content/DE/Bulletin/2012/11...

Mit freundlichen Grüßen Ihr Presse- und Informationsamt der Bundesregierung

Kommentare (1)Schließen

  1. Autor Helmut Krüger
    am 09. März 2013
    1.

    Ich stimme Ihnen zu und habe auch sogleich gezeichnet. Was für vom Tonfall oftmals überzogene Äußerungen gegenüber Griechenland, Spanien oder Portugal gilt, was für den richtigen Tonfall gegenüber Dänemark galt, seinerzeit, als die Grenze zu Deutschland aus Koalitionsräson wieder verriegelt und verrammelt werden sollte, das sollte für Ungarn auf jeden Fall gelten.

    Gewiss hat sich eine Regierung eines anderen Tones zu bedienen als reine Parteivertreter und Vertreter der deutschen Zivilgesellschaft, dennoch darf keine Regierung der Welt zu derartig erschreckenden Vorgängen in Ungarn schweigen.

    Es scheint wohl manchmal das Schicksal derjeniger zu sein, die unerträglich gelitten haben, etwas sehr Ähnliches in die Welt zu setzen als diejenigen, die ihnen das antaten.

    Das gilt für die allererste SED-Riege, die allesamt in Nazi-Zuchthäusern saßen, genauso wie für jene, die mit absoluter Mehrheit ausgestattet sich in den Rausch des Großreinemachens hineinbegeben und den Nationalismus der verschiedensten Prägung zu unfröhlichem Urständ verhelfen.

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