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Abstimmungszeit beendet
Autor Helmut Krüger am 27. Februar 2014
11699 Leser · 12 Kommentare

Wirtschaft

Wie kann eine Volkswirtschaft bestehen, wenn die Qualität "den Bach abgeht"?

Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin Angela Merkel,

der oben geschriebene Titel soll kein Katastrophismus sein, vielmehr soll er das Augenmerk auf etwas legen, was für mich in den letzten beiden Jahrzehnten sehr offen zutagetritt. Als Tendenz.

Wenige Jahre nach Bahnhofswiedereröffnung prallen Deckenstücke von der Verkleidung in die Fußgängerebene hinein, dass diese teilweise gesperrt werden muss, wenige Jahre nach Neueröffnung einer Berliner U-Bahn-Strecke (der U 8 von Leinestraße bis zur Hermannstraße) wird diese wegen Bauschäden wieder für ein dreiviertel Jahr geschlossen. Dass am Berliner Flughafen Putzarbeiten vorgenommen wurden, wo die Kabelschächte noch gar nicht sämtlich belegt waren, dass das Computersystem der Rauchgas-Meldeanlage und das Computersystem der Rauchgas-Entlüftungsanlage partout nicht zusammenpassen und der Flughafen vermutlich 2016 fertig ist, obwohl nach erstem Beschau alles in Ordnung ist, ist da nur letztlich die Spitze des Eisbergs.

Die Ausschreibungspraxis hinsichtlich von Billig-Anbietern nach EU-Recht und aufgespalten auf parallele Arbeitsgänge hat genau das Chaos und genau die Schäden herbeigeführt, die "uns" mittlerweile bei anderen zum Gespött machen.

Welche Chancen sehen Sie, wieder zu einer solideren Planung zurückzukehren? Zu einer, die davon ausgeht, dass für gute Qualität Geld ausgegeben werden muss, dass nicht spekulative und technische Waghalsigkeiten den Ruf dieses Landes begründeten, sondern ausgefeilte Organisation, solides Wissen und darauf aufbauend dann alle technische Neuerungen stattfanden?

Die Frage insbesondere, zumindest Sie das in Teilen auch so sehen: Wie kann die öffentliche Hand beispielgebend "vorangehen", wie kann eine Regierung zu einem anderen Ethos beitragen, als, hemdsärmlig genug, das, was heute besteht?

Vielen Dank!

Kommentare (12)Schließen

  1. Autor Ralf Schumann
    am 05. März 2014
    1.

    Ich habe den neuen Flughafen kürzlich im Rahmen meiner Arbeit selbst besichtigt. 2016 ist schon übernächstes Jahr. Schön, dass die "Kunstgegenstände", für die 10% der ursprünglichen Baukosten ausgegeben wurden, als Einziges vollständig und wie geplant fertiggestellt wurden.
    Der fliegende Teppich hängt schon und die Perlenkette leuchtet. Der Besichtigungsturm ist schon etwas vom Wetter angeschlagen, aber wer will diese Baustelle schon von oben sehen? Ringsherum ist von dort noch viel Bauland zu sehen. Dort haben nicht nur zusätzliche Gebäude Platz, sondern noch viele Steuergeld-Säcke.
    Ich würde sagen wir sollten auch von den zusätzlich geplanten Baugeldern 10% für Kunst ausgeben, dann sehen wir 2016 auf dem neuen Flughafen wenigstens etwas mehr aus der Luft als nur die rot durchgestrichenen Startbahnen.

  2. Autor Helmut Krüger
    am 08. März 2014
    2.

    Sehr geehrter Herr Schumann,

    ich möchte Ihnen auf andere Weise zustimmen: Für das größte Manko halte ich, dass derartige Bauten zu wenig als kunstvolles Bauwerk begriffen werden. Dann würde nämlich tatsächlich Herzblut in die Sache hineinfließen, wie beispielsweise bei der Errichtung der Göltzschtalbrücke bei Reichenbach im Vogtland oder bei der Errichtung der MAN-Fabrik in Lippstadt. Stattdessen erhöhen Bauten wie Flughäfen oder Fernbahnhöfe allenfalls zweckgerichtet das geschäftstüchtige Kalkül der betreffenden Architekturbüros.

    Auch wenn die Bauumstände seinerzeit gewiss auch Menschenleben gekostet haben und dies nicht bagatellisiert werden soll, so glaube ich, dass die seinerzeitige Generation zumindest eine Vorahnung hatte von der Langlebigkeit ihrer Bauten und der vorhergenden Solidität ihrer Planung. Auch wäre es gegen jeglichen Anstand gewesen, dass die Baukosten am Ende das Mehrfache wie am Anfang betragen hätten. Das wäre schlichtweg als Inbegriff eigenen Unvermögens verstanden worden.

    Damit will ich keiner Nostalgie das Wort reden, nur auf die Tatsache aufmerksam machen, dass ich es für fatal halte, dass die Demokratie mit ihrem Geschäftsgebaren meilenweit hinter seinerzeit vordemokratischen Verhältnissen zurückbleibt.

    Danke für Ihren Eintrag!
    Helmut Krüger

  3. Autor Wolfgang Mücke
    am 11. März 2014
    3.

    Mit dem Kölner Dom wurde im 13. Jahrhundert begonnen und er wurde im 19. Jahrhundert fertiggestellt. Was an Kosten geplant war und was in Summe auflief, weiß auch niemand.
    Für die Sagrada familia in Barcelona wurde 1882 der Grundstein gelegt. Die Kirche ist bis heute nicht fertig. Auch da sind Planung und Kosten unbekannt.

    Insofern war früher nicht alles besser.

    Für vernünftige Preise brauchte man nur eine stabile Planung und Festpreise. Jeder Nachtrag kostet richtig Geld, weil es keinen Wettbewerb mehr gibt. Das müssten die verantwortlichen Baudezernenten wissen.

    Die beauftragten Unternehmer müssten entweder genügend Eigenkapital als Sicherheit zur Verfügung stellen, um auch Verluste überstehen zu können oder entsprechende Versicherungen abschließen.

  4. Autor Helmut Krüger
    am 14. März 2014
    4.

    Natürlich ging es mir nicht um eine nostalgische Betrachtung vorheriger Zeiten und des Alten. Dennoch, so glaube ich, haben sich die Gewichte und Tendenzen verschoben, was das bewusste Einkalkulieren und Inkaufnehmen von Bauabbrüchen angeht.

    Bei der Sagrada familia ist der immerfortwährende Weiterbau ja Teil der Baukunst und volle Absicht, nicht aber Ausfluss einer hemdsärmligen Spekulation. Beim Kölner Dom war es schlicht Überforderung, sodass sich nahezu alle Zeitgenossen an den Dom als Torso gewöhnt hatten bis hin zur Wiederentdeckung als Symbol nationaler und kultureller Identität.

    Wurde ein zusammengefallener Turm, was es ja schon immer gab, eher als Ausdruck eigenen Unvermögens gesehen, geht die Tendenz heutzutage eher dahin, das als rein versicherungsrechtliche Frage anzusehen und in einem geführten Streit des Beste für sich herauszuholen.

    Auch der in Schwung gekommene juristisch geführte Streit zwischen den Gebietskörperschaften ist m. E. nicht dazu angetan, ein Bauprojekt in ruhigem Fahrwasser weiterzuführen.

  5. Autor Erhard Jakob
    am 16. März 2014
    5.

    Helmut,
    .
    das was Sie meinen heißt
    *Planwirtschaft*!
    .
    Diese haben wir 1990 in Deutschland
    zum Teufel gejagt.
    .
    Jetzt haben wir die freie Markt-
    wirtschaft und hier gilt:
    .
    *Angebot und Nachfrage regelt
    den Preis von ganz allein.*
    .
    Bei Ausschreibungen muss bzw. wird
    der Preisgünstigste genommen.
    .
    Dass diese Entscheidung dem Steuerzahler
    im Nachgang oft X - Mal soviel kostet,
    als wenn am Anfang der Teuerste
    genommen worden wäre, spielt
    dabei keine Rolle.

  6. Autor Helmut Krüger
    am 17. März 2014
    6.

    Lieber Erhard Jakob,

    gerade weil ich bei der "Verfasstheit" von Wirtschaft prinzipiell nicht festgelegt bin, diese Frage vielmehr recht offen sehe, so kann einer durchgängigen Festlegung eigentlich nichts abgewinnen.

    Plan- und marktwirtschaftliche Element muss es überall geben, es bleibt nur die Frage in welchem Ausmaß und mehr noch: mit welcher Motivation der Beteiligten. Letztere halte ich für die wichtigste aller Fragen. Kurzum: Es wäre gut, vom ideologisch geführten Streit der Systeme wegzukommen, weil keines der am Ende des 19. Jahrhunderts formulierten Systeme sich als das Gelbe vom Ei erwiesen hat.

    Mit einer plangemäßen Pflichterfüllung recht phantasieloser "Abteilungsleiter" ist genausowenig ein Blumentopf zu gewinnen wie einer inhaltsleeren Spekulation unternehmensfremder Aktionäre, die alles in Grund und Boden wirtschaften.

    Herzblut und Vision, das wäre gut und genau das ist recht selten anzutreffen. Wir finden Derartiges bei Wolfgang Gutberlet (tegut) wie bei Götz Werner mit seinen dm-Märkten, wir fanden das beim seinerzeitigen Geschäftsführer der Karlsruher Verkehrsbetriebe, Ludwig, dem geistigen Vater der Zweisystem Straßen- und Eisenbahn, der mit Sachverstand, persönliche Überzeugung und auch Herzblut für "seine" Idee bei den Ämtern "klinkenputzen" ging ...

    ... und sie alle für seine Idee gewann.

    Unter DDR-planwirtschaftlichen Verhältnissen gab es das gewiss - eher per Ausnahme kurz vor Toresschluss - bei jendem hochkarätigen Menschen, dem untypischerweise freie Hand gelassen wurde beim Umbau in Jena. Davon hat dann Lothar Späth gut gehabt, weil der darauf aufbauen konnte. Nach der Wende.

  7. Autor Helmut Krüger
    am 17. März 2014
    7.

    Ich will Ihnen zustimmen bei Vorhaben der Daseinsvorsorge. Bei der Preisdrückerei nach unten, häufig bis unrealistischerweise unterhalb der Gestehungskosten, kann Qualität weder erzielt noch dauerhaft gehalten werden.

    Wer als Gemeinwesen per Ausschreibung faktisch gezwungen wird, das Billigste zu nehmen, der handelt wie der, der sich faktisch selber zwingt, Billig-Fusel für 99 Cent in der Brikverpackung für angemessenen Wein zu halten, nur weil das auf der Verpackung steht.

  8. Autor Erhard Jakob
    am 18. März 2014
    8.

    Helmut,
    der Kapitalismus basiert auf Wachstum.
    .
    Ähnlich wie ein Luftballon. Man muss pausenlos
    Luft rein blasen sonst wird er kleiner. Aber,
    wenn man pausenlos Luft rein bläst,
    dann platzt er eines Tages.
    .
    Im vorigen Jahrhundert ist er zweimal
    geplatzt und zwar sehr gewaltig!

  9. Autor Helmut Krüger
    am 19. März 2014
    9.

    Erhard Jakob,

    ich glaube, dass das Problem nur jenseits der hochgehaltenen "ismen" tatsächlich zu lösen ist.

    Das gilt für den sich selbst so bezeichnenden Sozialismus genauso wie für den mehr von außen so bezeichneten Kapitalismus.

    Wäre es nur die reine und nackte Geldgier und nichts anderes, das Ganze würde binnen von 6 Wochen zusammenbrechen.

    Deshalb auch bin ich vorsichtig mit solchen Zuschreibungen, auch wenn es einschlägig ideologisch Motivierte sind, die sich selbst so bezeichnen: "Wir sind Kapitalisten".

    In der Tat sehe ich zehnmal mehr gemeinsame Merkmale zwischen dem niedergegangenen staatssozialistischen Wirtschaftssystem und jenem Wirtschaftssystem, was zu Recht oder auch teilweise zu Unrecht als kapitalistisch bezeichnet wird:

    Das vereinigende Gemeinsame ist die Orientierung und das krampfhafte Festhalten an reinen und bloßen Zahlenwerten ...

    - hier letztlich nichtssagende Gewinne und Aktienkurse, dort Fünfjahres-Planzahlen und Sollvorgaben, die dann durch nachträgliche umgebogene Plankorrekturen immer über 100% lauteten -

    ... die am Kern des eigentlichen Wirtschaftens vorbeigehen. Der Kern kann nur ein inhaltlicher und zunächst einmal völlig unbezifferbarer sein. Solange dieser nicht gefunden ist, kann auch alles andere letztlich nichts werden. Den inhaltlichen Kern will ich als Qualität, nicht als (seelen- und inhaltlose) Quantität bezeichnen.

    Vergesst die Systeme und sagt, wo das Herzblut hingeht.

  10. Autor Erhard Jakob
    am 19. März 2014
    10.

    Zwischen dem Sozialismus und dem Kapitalismus
    herrschte früher eine friedliche Koexistenz.
    .
    Im Kapitialismus ist es offenkundig aus
    mit dieser friedlichen Koexistenz.
    .
    Hier denken die Kapitalisten nur an
    sich und sch... auf die Existenz
    der anderen Kapitalisten.

  11. Autor Erhard Jakob
    am 20. März 2014
    11.

    Helmut (9),
    in vielen will ich Ihnen gern zustimmen.
    .
    Aus meiner Sicht ist der Sozialismus 5 Pfennige
    wert und der Kapitalismus einen Fünfer.
    .
    Winston Cherchill:
    .
    *Von den schlechten Gesellschaftsformen ist die
    Demokartie (egal, ob kapit. oder soz.)
    immer noch die beste.
    .
    Ganz sicher ist es an der Zeit eine gute
    Gesellschaftsform zu suchen und
    vorallem zu finden.

  12. Autor Helmut Krüger
    Kommentar zu Kommentar 11 am 27. März 2014
    12.

    Da stimme ich gern zu und das sehe ich ganz genauso, Erhard Jakob.

    Bislang haben sich zu viele Menschen zu sehr auf überlieferte Systeme konzentriert und genau dadurch sich geistig faktisch "gelähmt". Die Phantasie dürfte groß genug sein, sich ein Leben abseits davon vorzustellen und dies auch eines Tages in die Tat umzusetzen.

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