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Beantwortet
Autor Ricarda Kauert am 26. Februar 2008
13213 Leser · 0 Kommentare

Gesundheit

Ärzte werden ausgehungert

Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin,

es kann niemandem mehr verborgen geblieben sein, dass die niedergelassenen Pflicht-Ärzte (denn von "Vertrags-"ärzten" kann man nur in grober Verkennung der Fesseln des SGB V sprechen) ausgehungert werden.

Die schmalen bis negativen Gewinne einer Kassenpraxis allein gestatten heute kaum noch die Aufrechterhaltung der laufenden ärztlichen Versorgung der GKV-Patienten.

Privatversicherte Patienten tragen die Werte bei, die die nach § 12 SGB V lediglich als „ausreichend“ beschriebene Versorgung auch der Krankenkassenpatienten gerade noch ermöglicht.
Fallende Punktwerte, fallende Quoten, Regresse, überbordende Bürokratie und viele "Quälereien" mehr führen immer mehr Kollegen, ihre angestellten Fachkräfte und die zugehörigen Familien in wirtschaftliche, existentielle und seelische Not.

Die Zahlen von Ärzten, die an Burnout erkranken, steigen besorgniserregend an - beginnend übrigens schon bei den ganz jungen Kollegen zum Ende des humanmedizinischen Studiums.

Vieleder Hochschulabsolventen im Fachbereich Medizin gehen folgerichtig nicht mehr in die Facharztausbildung hinein. Sie ziehen andere Tätigkeitsfelder als das der Arbeit direkt am Patienten vor oder gehen ins Ausland, weil sie hier in Deutschland auf ureigenem ärztlichem Gebiet keine Zukunft mehr für sich sehen.

Unsere Gesundheitsministerin behauptet dazu, dass diese jungen Mediziner doch fast alle wiederkämen. Sie irrt nachweislich. Aber auch Kollegen höherer Altersstufen verlassen die so mühselig aufgebaute Praxis, die vertrauten Freunde, die geliebte Heimat, ihr Mutterland.

Warum können und dürfen Ärzte von ihrer harten und segensreichen Arbeit nicht mehr leben?

Warum stehen Haus- und niedergelassene Fachärzte auf der roten Liste der bedrohten Arten?

Warum können immer mehr hervorragende Arbeit leistende Krankenhäuser dem wirtschaftlichen Kollaps kaum noch ausweichen?

Warum stehen die großen Kapitalgesellschaften längst auf der Matte, um die sturmreif geschossenen Praxen und Kliniken zu übernehmen?

Warum wird immer unverhohlener von einer "Industrialisierung" des "Gesundheitsmarktes" gesprochen?

Leisten niedergelassenen Ärzte schlechte oder ineffiziente Arbeit am Patienten?
Verstehen Krankenhäuser nicht zu wirtschaften?

Herr Prof. Fritz Beske sagt dazu, dass die derzeitige Gesundheitspolitik eine Politik ohne Plan sei, weil sich augenscheinlich niemand Gedanken mache, was die immer neuen sog. Reformen in unserem System wirklich bewirkten. Er sieht tiefe Eingriffe in die Struktur unseres Gesundheitswesens durch die letzten beiden Gesundheitsreformen, ohne dass diese auch nur im Ansatz eine kritische Rückschau auf frühere Gesetze enthielten.

Er konstatiert zudem, dass Deutschland international gesehen ein weltweit einzigartig gutes Gesundheitssystem habe, dazu nirgendwo sonst eine derartig gute medizinische Versorgung für einen derartig niedrigen Preis zu haben sei.

Warum muß ein so gutes System so tiefgreifend verändert werden, wie es die letzten beiden Gesundheitsreformen erzwingen?
Warum muß immer mehr staatliche Kontrolle ins Gesundheitssystem implementiert werden?

Ein großer Teil der niedergelassenen Ärzte fühlt sich inzwischen versklavt, an die entrechtende Kette des SGB V gelegt.

Immer mehr Kollegen und Kolleginnen wollen das GKV-System verlassen, werden aber durch den $ 95b des SGB V mit einer Strafe bedroht, die einem Berufsverbot gleichkommt, wenn sie diesen Schritt gemeinschaftlich mit anderen Ärzten tun.

Sie wissen, dass die bayerischen Hausärzte "aussteigen" wollen. Lassen Sie diesen Dominostein fallen, so fallen viele weitere.

Liebe Frau Dr. Merkel,

verzweifelt wie viele Ärzte sind, bleibt ihnen nur die kollektive oder individuelle Rückgabe der Kassenzulassung, wollen sie die einzige Chance wahren, gut für sich selbst sorgen und damit auch und wieder gut für ihre Patienten sorgen zu können.
Wer, wenn nicht Sie und Ihre Partei, könnten noch an der Schraube drehen?

Wagen Sie es, stehen Ärzte und Patienten hinter Ihnen.

Darf ich um eine Antwort bitten?

Mit respektvollen und freundlichen Grüßen,

Ihre

Dr. med. Ricarda Kauert
aus Wuppertal

Antwort
im Auftrag der Bundeskanzlerin am 25. März 2008
Angela Merkel

Sehr geehrte Frau Dr. Kauert,

vielen Dank für Ihre Anfrage, die wir im Auftrag der Bundeskanzlerin beantworten.

Zunächst: Ihre Feststellung, unser Gesundheitswesen und die medizinische Versorgung der Menschen in Deutschland stünden international gesehen gut da, trifft zu. Viele Vergleichsanalysen bestätigen dies. Großen Anteil daran haben die über vier Millionen Beschäftigten im Gesundheitswesen, allen voran motivierte Ärztinnen und Ärzte, Krankenschwestern und –pfleger.

Die jüngsten Gesundheitsreformen sind unverzichtbare Voraussetzung dafür, dass unser Gesundheitswesen trotz wachsender Herausforderungen finanzierbar bleibt. Denn auch in Zukunft soll jeder eine gute und bezahlbare medizinische Versorgung erhalten.

Ihre Darstellung der Situation der Ärzteschaft, insbesondere auch der finanziellen Lage, können wir nicht teilen. Jüngste Angaben des Bewertungsausschusses belegen, dass von „schmalen bis negativen Gewinnen einer Kassenpraxis“ keine Rede sein kann. So betrug zum Beispiel der Praxisüberschuss je Hausarzt im Jahr 2006 in den alten Ländern im Durchschnitt 83.486 Euro, in den neuen 80.494 Euro.

Zu berücksichtigen ist auch, dass Ärztinnen und Ärzte neben ihren Honoraren aus ihrer vertragsärztlichen Tätigkeit zusätzliche Einnahmen aus speziellen Verträgen mit Krankenkassen sowie aus privatärztlicher Tätigkeit erzielen. Diese zusätzlichen Einnahmen können bis zu einem Drittel des Gesamtumsatzes einer Arztpraxis ausmachen.

Die Sicherung der Attraktivität des Arztberufes insbesondere als Perspektive für Nachwuchsmediziner ist der Bundesregierung ein wichtiges Anliegen. Deshalb wurden gerade in den vergangenen Jahren die Rahmenbedingungen für die ärztlichen Arbeits- und Vergütungssituationen gezielt verbessert – zum Beispiel durch die seit Januar 2007 gültigen Regelungen des Vertragsarztrechtsänderungsgesetzes. Sie haben die vertragsärztliche Berufsausübung flexibler und liberaler gemacht.

Das seit knapp einem Jahr gültige GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz (GKV-WSG) führt diese Entwicklung fort. Es enthält unter anderem die Festlegung, ab 2009 ein neues Vergütungssystem für Ärzte einzuführen. Es soll den Ärztinnen und Ärzten mehr Planungssicherheit geben und für mehr Transparenz sorgen.

Deshalb wird für die Vertragsärzte in der gesetzlichen Krankenversicherung unter anderem zum 1. Januar kommenden Jahres eine neue Gebührenordnung mit festen Euro-Preisen eingeführt. Jeder Arzt/jede Ärztin in der ambulanten Versorgung weiß dann – anders als heute -, was er/sie für seine/ihre Leistungen bekommt. Das Risiko zunehmender Behandlungsbedürftigkeit der Patienten (Morbiditätsrisiko) tragen künftig nicht mehr die Ärztinnen und Ärzte, sondern die Krankenkassen.

Das GKV-WSG sorgt außerdem für größere Transparenz, intensiveren Wettbewerb und weniger Bürokratie im Gesundheitswesen. Das führt letztlich zu mehr Qualität und Wirtschaftlichkeit in der medizinischen Versorgung.

Die Chancen aller Vertragsärztinnen und Vertragsärzte sind also wesentlich verbessert worden sind. Deshalb sieht die Bundesregierung derzeit keinen weiteren gesetzgeberischen Handlungsbedarf.

Noch ausführlichere Informationen können Sie der am 5. März veröffentlichten Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage von Bundestagsabgeordneten der FDP-Fraktion entnehmen: http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/16/083/1608366.pdf

Mit freundlichen Grüßen

Ihr

Presse- und Informationsamt der Bundesregierung