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Beantwortet
Autor Gert Flegelskamp am 02. November 2007
19800 Leser · 4 Kommentare

Soziales

Demographie

Sehr geehrte Frau Merkel,

in der Rentendebatte wird immer wieder auf die Folgen der Demographie hingewiesen. Danach soll durch die längere Lebensdauer der Menschen und eine verminderte Geburtenrate eine Situation entstehen, dass es nicht mehr genügend Menschen gibt, die in die Rentenkassen einzahlen und somit die Belastung für die Jugend zu groß wird. Aus diesem Grunde wurde auch die Rente mit 67 eingeführt. Soweit die politischen Aussagen.
So ganz vermag ich diese Aussagen nicht nachvollziehen, gibt es doch ziemlich eindeutige Hinweise, dass diese von der Rürup-Kommission geprägten und seither ständig wiederholten Aussagen einige Schönheitsfehler aufweisen.
Da wäre zunächst die Aussage über die verlängerte Lebensdauer, basierend auf den Sterbetafeln und statistischen Hochrechnungen. Aus meiner Sicht sind die daraus gezogenen Schlüsse fehlerhaft, weil sie die Wirklichkeit nur unvollkommen aufzeigen.
Die Frage der Demographie im Zusammenhang mit den Rentenzahlungen kann im Prinzip nicht auf der Basis einer Gesamtgesellschaftlichen Betrachtung bewertet werden, weil derzeit nur ca. 27 Millionen Bürger einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nachgehen. Darunter sind etliche Berufssparten, deren Lebensdauer wegen der Ausübung ihres Berufes sicherlich nicht vergleichbar ist mit der einer gehobenen Einkommensklasse, die sich schon wegen der besseren finanziellen Ausstattung eine medizinische Fürsorge leisten kann, von der die meisten Einzahler in die Sozialkassen nur träumen können.
Eine Sterbestatistik, aufgesplittet nach einzelnen Berufsgruppen und nur berechnet von den Menschen, die auch in die Rentenkassen einzahlen, würde mit Sicherheit überraschende Ergebnisse zeitigen.
Ein zweiter Punkt in diesem Zusammenhang wird mit erstaunlicher Konsequenz ignoriert. Solange es Millionen Arbeitslose gibt und hier meine ich nicht die statistisch erfassten, sondern die realen Arbeitslosenzahlen, können doch fehlende Einzahlungen in die Sozialkassen nicht einer zu geringen Geburtenrate angelastet werden? Jeder Arbeitslose ist ein fehlender Einzahler, denn die wenigen Cent, die von der BA an die Rentenkassen geleistet werden, fallen dabei sicherlich nicht ins Gewicht.
Ein dritter Punkt findet auch keine Beachtung. Von den zu wenig geborenen Kindern werden mit der zunehmenden Verarmung (Stichwort Kinderarmut) inzwischen schon über 2 Millionen von echten Bildungsmöglichkeiten abgeschnitten. Die psychologischen Begleitumstände dieser früh beginnenden Ausgrenzung bewirken eine frühzeitige Resignation bei diesen Kindern mit einem zunehmenden Hass auf die Gesellschaft. Die von Frau von der Leyen angestrebten Maßnahmen sind eine Eliteförderung und lassen Kinder in prekären Verhältnissen völlig außen vor. Diese Förderung einer Elite erinnert mich fatal an die Zeit vor 1945. Die fehlenden Bildungschancen dieser Kinder bewirken zwangsläufig eine strukturelle Unterversorgung des leistungsfähigen Nachwuchses für die Wirtschaft.
All diese Punkte stehen in einem krassen Gegensatz zu den Behauptungen über die Einflüsse der Demographie. Betrachtet man dabei die Bemühungen und Forderungen, die arbeitende Bevölkerung aus der gesetzlichen in die private Versicherungswirtschaft zu treiben und sieht dabei, dass die Apologeten der der Demographie prächtig mit der privaten Versicherungswirtschaft zusammen arbeiten und horrende Honorare kassieren, erscheinen die von diesen Leuten erhobenen düsteren Zukunftsprognosen eher als eine PR-Kampagne für den eigenen Profit.
Betrachtet man die wirtschaftliche Entwicklung der BRD seit Kriegsende, müsste eine verlängerte Lebenserwartung locker zu verkraften sein, steht sie doch in keinem Verhältnis zur Steigerung der wirtschaftlichen Entwicklung.
Demographie ist eine Wurst mit zwei Enden. Die arbeitende Bevölkerung muss durch die Umlagenfinanzierung nicht nur für die Alten aufkommen, sondern auch für die Jugend, bis diese ins Berufsleben einsteigt. Die Mackenroth-These:ist bis heute nicht widerlegt. Auch dort hat eine demographische Entwicklung stattgefunden, weil das durchschnittliche Alter der Berufseinsteiger von15 Jahren zu Beginn der BRD (Fünfziger Jahre) auf heute gut 20 Jahre angestiegen ist.

Was also ist der Grund, dass die Aussagen über die Demographie von der Politik nur von Personen und Instituten Beachtung finden, die einseitig für wirtschaftliche Interessen arbeiten und für diese Lobbyarbeit von der Wirtschaft reich belohnt werden?

Gert Flegelskamp

Antwort
im Auftrag der Bundeskanzlerin am 12. November 2007
Angela Merkel

Sehr geehrter Herr Flegelskamp,

vielen Dank für Ihre Anfrage, die wir im Auftrag der Bundeskanzlerin beantworten.

Über die Demografie und ihre Herausforderungen wird häufig und gelegentlich auch kontrovers diskutiert. Die Medien berichten darüber ausführlich und geben die verschiedenen Auffassungen wieder. Wir teilen daher Ihre Einschätzung nicht, dass es dabei einseitig zugeht.

Was das Thema Rente mit 67 angeht: Die Menschen werden immer älter, die Bevölkerungszahl geht zurück. Das heißt, dass immer mehr Rentner immer weniger Erwerbstätigen gegenüberstehen, die mit ihren Beiträgen die laufenden Renten finanzieren. Darum sind wir gut beraten, uns den Herausforderungen der demografischen Entwicklung rechtzeitig zu stellen. Auch das ist eine Frage von sozialer Gerechtigkeit. Die Bundesregierung kann es weder hinnehmen, dass die Beiträge zur Rentenversicherung die arbeitende Generation über Gebühr belasten, noch lässt sich eine zunehmende Altersarmut akzeptieren.

Den Wohlstand unseres Landes werden wir künftig nur sichern können, wenn es gelingt, Ältere länger im Arbeitsprozess zu halten. Die Bundesregierung reagiert mit der Rente mit 67 nicht nur auf die steigende Lebenserwartung. Sie sorgt auch dafür, dass das Rentenniveau nicht weiter abgesenkt werden muss. Bei ständig steigender Lebenserwartung ist eine längere Lebensarbeitszeit schlichtweg unerlässlich. Dieser Realität müssen wir uns stellen.

Mit freundlichen Grüßen

Ihr

Presse- und Informationsamt der Bundesregierung

Kommentare (4)Schließen

  1. Autor Sabine Schwenk
    am 02. November 2007
    1.

    Grüße Sie Herr Flegelskamp,

    gut dass Sie diese Themen aufgreifen. Frau Merkel bzw. ihre Pressesprecher merken hoffentlich, dass man uns keine Märchen mehr erzählen kann.
    Die Propaganda mit dem demographischen Wandel erzählt man uns doch nur, weil man den Menschen in die Taschen greifen kann. Ich glaube nicht den Schwindel mit dem demographischen Wandel.

    Gruß
    S. Schwenk

  2. Autor martin jürgensen
    Kommentar zu Kommentar 1 am 08. November 2007
    2.

    Frau Merkel bzw. ihre Pressesprecher interessiert das leider überhaupt nicht, die richten sich einzig und allein nach den vorgaben ihrer beherrscher. eine eigene meinung haben diese leute nicht, bzw. sie werden niemals riskieren diese zu äussern, oder gar danach zu handeln, wenn dies nicht mit den interessen ihrer "vorgesetzten" uebereinstimmt.
    fakt ist, dass gesetze in deutschland nicht vom volks(vertreter) für das volk, sondern von konzernen und hochfinanz GEGEN das volk gemacht werden, darauf haben soo unwichtige leute wie ein deutscher kanzler keinerlei einfluss. also ziehen sie den kopf ein (sieht man bei merkel auch deutlich....), und nehmen für sich das beste aus der situation, also völlig überhöhte pensionsansprüche, top geheime nebeneinkommen, bewachte hundehütten in irgendwelchen feriengebiten usw. usw..

    ist ja auch verständlich, denn 99% der abgeordneten würden mangels irgendwelcher fähigkeiten mit hoher wahrscheinlichkeit arbeitslos sein, wären sie nicht abgeordnete. oder würden Sie eine so verlogenenen oder verblödeten menschen (eins von beiden IST tatsache!!!) als ihren anwalt oder ausbilder einstellen???

  3. Autor Gert Flegelskamp
    am 12. November 2007
    3.

    Teil 2 der Antwort
    Armut führt ebenfalls zu gesundheitlichen Schäden wegen unzureichender und nicht ausgewogener Nahrung, depressiver Resignation und aufgrund ständiger Stresssituation zu einer Verkürzung der Lebenserwartung. Es gibt bisher lediglich eine Studie des Max Planck Instituts, nach der die Lebenserwartung von Geringverdienern rund 5 Jahre unter der von den Besserverdienenden liegt. Schon diese Studie müsste Grund genug sein, die Sterbetafeln auf der Basis Berufsgruppen und Lebensumstände zu modifizieren. Die daraus erzielten Erkenntnisse würden heute bereits beweisen, dass die bisherigen Modellrechnungen der Statistiker nicht tragbar sind.
    Der so oft beschworene desolate Zustand der Rentenkassen beruht nicht zuletzt auf dem Umstand, dass der gesetzlichen Rentenkasse zahlreiche Fremdlasten aufgebürdet wurden.
    • Kindererziehungszeiten
    • Kriegesfolgelasten (Witwen-, Waisen- und Versehrten-Renten)
    • Übernahme der DDR-Renten
    • Anrechnung von Studienzeiten
    • Und weitere
    Wurden einseitig auf die Rentenkasse abgewälzt, ob wohl hier eine gesamtgesellschaftliche Verpflichtung vorliegt, diese Lasten also aus Steuermitteln hätten aufgebracht werden müssen.
    Die Rente mit 67 wurde eingeführt, obwohl Unternehmen noch immer ältere Arbeitnehmer über unterschiedliche Maßnahmen vorzeitig entlassen und damit die Sozialkassen belasten. Das Arbeitsministerium hat bisher keinerlei Anstrengungen unternommen, dafür zu sorgen, dass ältere Arbeitnehmer auch bis zu einem Renteneintrittsalter von 67 Jahren arbeiten können. Stattdessen wurde nun die Zwangsverrentung älterer Arbeitnehmer beschlossen, wenn diese arbeitslos wurden und ein Renteneintrittsalter von 63 Jahren erreicht haben. Diese Zwangsverrentung ist für die Betroffenen mit lebenslangen erheblichen Abschlägen bei der Rente verbunden und verstärkt die ohnehin bereits vorhandene Altersarmut.
    Lese ich dann die hier vermittelte Antwort, werte ich sie als Beweis, dass sich die Politik nicht mir diesen Problemen befassen will, sondern unverändert die Umverteilung von unten nach oben betreibt. Betrachte ich mir die Entwicklung des Bruttosozialprodukts der letzten 50 Jahre, müsste der wirtschaftliche Erfolg Deutschlands eine geringfügige Steigerung des Lebensalters problemlos abfedern.

  4. Autor Gert Flegelskamp
    am 12. November 2007
    4.

    Teil 1 der Antwort auf die Antwort
    Diese Antwort ist einfach nur ärgerlich. Es ist die plakative Antwort aus vermutlich standardmäßig zusammengestellten Textbausteinen, die auf keines meiner Argumente eingeht und lediglich statistische Zahlenspielereien als Fakt bezeichnet, unter völliger Missachtung der Rahmenbedingungen.
    Rahmenbedingungen sind dabei rund 12 Millionen echte Arbeitslose (bei 7 Millionen ALG II-Empfängern), rechnet man die von der BA als graue Reserve bezeichneten Arbeitslosen ein, denen man aufgrund verschiedener Kriterien wie z. B. ein Partnereinkommen, Transferleistungen verweigert. Während die Politik und die Presse von den Erfolgen auf dem Arbeitsmarkt schwärmen, beklagen die Kommunen ein Ansteigen der ALG II Empfänger. Daraus geht hervor, dass die Erfolge am Arbeitsmarkt darauf beruhen, dass man Arbeitslose mit den Zwangsmechanismen des SGB II in Arbeitsverhältnisse zwingt, deren Bezahlung für den Lebensunterhalt nicht ausreichend ist.
    Solange die Arbeitslosenquote und die Quote der Geringverdiener mit Anspruch auf Transferleistungen so hoch ist und Kinder von der Bildung ausgegrenzt werden, ist jeder Hinweis auf fehlende Beitragszahler wegen des Geburtenrückgangs purer Zynismus.
    Jeder demographisch aufgezeigte Trend ist nichts anderes als ein Zahlenspiel und eine pure Modellrechnung mit Modellen, die derzeit im politischen Umfeld opportun sind. Dass die Vertreter dieser Berechnungen, die Herren Raffelhüschen und Rürup diese Zahlen so vehement verteidigen, wundert nicht, wenn man ihre Verbindungen und die damit verbundenen Einkommen zur privaten Versicherungswirtschaft betrachtet. Tatsächlich gibt es aber keine statistische Berechnung, bei der die Lebensumstände und das Berufsbild eine Rolle spielen, obwohl das entscheidende Einflussfaktoren für die Lebensdauer sind. So wird die momentane durchschnittliche Lebenserwartung nur Gesamtgesellschaftlich betrachtet, nicht auf Basis konkreter Berufsgruppen. Außerdem beruht die Datenbasis auf Zahlen einer Ära relativen Wohlstandes und bester (nicht ganz) medizinischer Versorgung. Die Lebensumstände haben sich aber drastisch geändert. Zunehmende Armut verhindert bei gleichzeitiger Kostensteigerung im Gesundheitswesen mehr und mehr die Inanspruchnahme der Möglichkeiten der medizinischen Versorgung.

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