Sehr geehrter Herr Senator,
über Ihre Antwort vom 08.01.10, die recht kreativ ausfiel, habe ich mich gefreut. Allerdings als Individualist und Latino hätte ich es mir gewünscht, daß Sie weniger Gewicht auf den sozialen Zusammenhalt und somit auf die Staatssicherheit verlagert und mehr Partei für den Bürger ergriffen hätten.
Nun, ich möchte Ihnen Fragen zur Behindertenpolitik der Linkspartei und infolgedessen des Senats hinsichtlich des sogenannten „3. Arbeitsmarkts“ stellen.
Ich konnte vernehmen, daß sich der Senat der gesetzlichen Betriebsordnung nicht bewusst ist, welche aus §§ 1, 4, 136 SGB IX sowie aus § 144(1) SGB IX i.V.m. §§ 4(4) und 5(3) WVO hervorgeht. Das Ziel der Behindertenpolitik ist u.a., der Benachteiligung von Behinderten entgegenzuwirken (vgl. § 1 SGB IX), anstatt sie zu vermehren. Die Leistungen zur Teilhabe sind dafür gedacht, „die persönliche Entwicklung ganzheitlich zu fördern und die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft sowie eine möglichst selbständige und selbstbestimmte Lebensführung zu ermöglichen oder zu erleichtern.“ (vgl. § 4(1) sowie § 136(1) Nr. 2 SGB IX).
Um dieses Ziel umzusetzen, muß auch die Werkstatt für behinderte Menschen behindertengerecht sein. Dafür sorgt § 136(2) SGB IX. Demnach hat die Werkstatt selbst eine tolerante Atmosphäre sowie eine liberalisierte Betriebsordnung zu pflegen, damit möglichst viele Behinderte in Werkstätten aufgenommen werden und ihre Gesundheit aufgrund der Beschäftigung aufrechterhalten werden kann. Schließlich ist die Teilhabe am Arbeitsleben nach §§ 63, 64 SGB I eine Heilbehandlung und darf die Gesundheit von Menschen nicht beeinträchtigen.
Das hat zur Folge, daß die Arbeitsbedingungen bei einer WfbM anders sein müssen als bei einem normalen Betrieb auf dem 1. Arbeitsmarkt, wo Mobbing und andere Formen von erniedrigender Behandlung von Menschen herrschen.
Aufgrund einer Kündigung durch eine Werkstatt in Berlin beantragte ich Akteneinsicht bei der Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales (SenIAS), die ich am 05.01.10 einsehen durfte. Was ich dort sah, war für mich schockierend. Dort stand, wie diese Senatsverwaltung die Brutalität dieser Werkstatt gefördert hat. Ihre Auffassungen, Veranlassungen und Unterlassungen waren einfach grausam und – ich möchte auch sagen – bestialisch. Ich konnte es mir nicht vorstellen, daß eine linke Senatsverwaltung so ein negatives Menschenbild gegenüber Behinderten pflegt.
Sie sah nicht zu, dass die gesetzliche Betriebsordnung nach dem SGB IX eingehalten wurde. Sie ergriff ständig Partei für den Unternehmer. Sie machte sich zu keinem Zeitpunkt über die Lebenslage der Behinderten in den Werkstätten sachkundig. Alles, was die Werkstatt in bezug auf die Behandlung – besser gesagt: Mißhandlung – sei „human“ und sogar „einfühlsam“.
Abteilung I B hörte die Werkstatt – natürlich mich nicht, ehe sie eine Kündigung mir gegenüber aussprach, was am darauffolgenden Tag erfolgte. Auch bei der Kündigung konnte SenIAS nicht feststellen, daß die Kündigungsgründe, welche eine Werkstatt nach § 138(7) SGB IX abzugeben hat, den Erfordernissen des § 136(2) SGB IX nicht genügten. Vielmehr behauptete sie, daß die Werkstatt „konsequent“, „rechtstreu“ und „rational“ gehandelt hätte, während sich der Behinderte angeblich nicht an „Regeln“ halten kann.
In meinem Fall wurde ich dreimal seelisch und körperlich von der Werkstatt geschädigt. Einmal landete ich in der Nervenklinik, danach hatte ich eine Organstörung und das dritte Mal hat mir der Arzt vom Arbeitsplatz entfernt, da er befürchte, daß ich erneut in einer Nervenklinik landen würde.
Was ich erzähle, passiert nicht nur mir. Nach Angaben von SenIAS gibt es nur 7.350 Teilnehmer in den diversen WfbM. Das halte ich für zu wenig.
Sehen Sie eine Möglichkeit, dieser unterdrückerischen Politik ein Ende zu setzen? Ist es vielleicht möglich, daß sich auf dem Gebiet der Behindertenpolitik der Senat an Gesetz, Verfassung und Menschenrecht halten könnte, um Arbeitsbedingungen herstellen zu können, die es dem Behinderten ermöglicht, seine Arbeitskraft zu entfalten?
Mit freundlichen Grüßen
Luis Fernández Vidaud
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