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Beantwortet
Autor L. Fernández Vidaud am 25. Januar 2010
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Wirtschaft

fehlende Menschlichkeit bei der Gestaltung der Werkstätten für behinderte Menschen

Sehr geehrter Herr Senator,

über Ihre Antwort vom 08.01.10, die recht kreativ ausfiel, habe ich mich gefreut. Allerdings als Individualist und Latino hätte ich es mir gewünscht, daß Sie weniger Gewicht auf den sozialen Zusammenhalt und somit auf die Staatssicherheit verlagert und mehr Partei für den Bürger ergriffen hätten.

Nun, ich möchte Ihnen Fragen zur Behindertenpolitik der Linkspartei und infolgedessen des Senats hinsichtlich des sogenannten „3. Arbeitsmarkts“ stellen.

Ich konnte vernehmen, daß sich der Senat der gesetzlichen Betriebsordnung nicht bewusst ist, welche aus §§ 1, 4, 136 SGB IX sowie aus § 144(1) SGB IX i.V.m. §§ 4(4) und 5(3) WVO hervorgeht. Das Ziel der Behindertenpolitik ist u.a., der Benachteiligung von Behinderten entgegenzuwirken (vgl. § 1 SGB IX), anstatt sie zu vermehren. Die Leistungen zur Teilhabe sind dafür gedacht, „die persönliche Entwicklung ganzheitlich zu fördern und die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft sowie eine möglichst selbständige und selbstbestimmte Lebensführung zu ermöglichen oder zu erleichtern.“ (vgl. § 4(1) sowie § 136(1) Nr. 2 SGB IX).

Um dieses Ziel umzusetzen, muß auch die Werkstatt für behinderte Menschen behindertengerecht sein. Dafür sorgt § 136(2) SGB IX. Demnach hat die Werkstatt selbst eine tolerante Atmosphäre sowie eine liberalisierte Betriebsordnung zu pflegen, damit möglichst viele Behinderte in Werkstätten aufgenommen werden und ihre Gesundheit aufgrund der Beschäftigung aufrechterhalten werden kann. Schließlich ist die Teilhabe am Arbeitsleben nach §§ 63, 64 SGB I eine Heilbehandlung und darf die Gesundheit von Menschen nicht beeinträchtigen.

Das hat zur Folge, daß die Arbeitsbedingungen bei einer WfbM anders sein müssen als bei einem normalen Betrieb auf dem 1. Arbeitsmarkt, wo Mobbing und andere Formen von erniedrigender Behandlung von Menschen herrschen.

Aufgrund einer Kündigung durch eine Werkstatt in Berlin beantragte ich Akteneinsicht bei der Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales (SenIAS), die ich am 05.01.10 einsehen durfte. Was ich dort sah, war für mich schockierend. Dort stand, wie diese Senatsverwaltung die Brutalität dieser Werkstatt gefördert hat. Ihre Auffassungen, Veranlassungen und Unterlassungen waren einfach grausam und – ich möchte auch sagen – bestialisch. Ich konnte es mir nicht vorstellen, daß eine linke Senatsverwaltung so ein negatives Menschenbild gegenüber Behinderten pflegt.

Sie sah nicht zu, dass die gesetzliche Betriebsordnung nach dem SGB IX eingehalten wurde. Sie ergriff ständig Partei für den Unternehmer. Sie machte sich zu keinem Zeitpunkt über die Lebenslage der Behinderten in den Werkstätten sachkundig. Alles, was die Werkstatt in bezug auf die Behandlung – besser gesagt: Mißhandlung – sei „human“ und sogar „einfühlsam“.

Abteilung I B hörte die Werkstatt – natürlich mich nicht, ehe sie eine Kündigung mir gegenüber aussprach, was am darauffolgenden Tag erfolgte. Auch bei der Kündigung konnte SenIAS nicht feststellen, daß die Kündigungsgründe, welche eine Werkstatt nach § 138(7) SGB IX abzugeben hat, den Erfordernissen des § 136(2) SGB IX nicht genügten. Vielmehr behauptete sie, daß die Werkstatt „konsequent“, „rechtstreu“ und „rational“ gehandelt hätte, während sich der Behinderte angeblich nicht an „Regeln“ halten kann.

In meinem Fall wurde ich dreimal seelisch und körperlich von der Werkstatt geschädigt. Einmal landete ich in der Nervenklinik, danach hatte ich eine Organstörung und das dritte Mal hat mir der Arzt vom Arbeitsplatz entfernt, da er befürchte, daß ich erneut in einer Nervenklinik landen würde.

Was ich erzähle, passiert nicht nur mir. Nach Angaben von SenIAS gibt es nur 7.350 Teilnehmer in den diversen WfbM. Das halte ich für zu wenig.

Sehen Sie eine Möglichkeit, dieser unterdrückerischen Politik ein Ende zu setzen? Ist es vielleicht möglich, daß sich auf dem Gebiet der Behindertenpolitik der Senat an Gesetz, Verfassung und Menschenrecht halten könnte, um Arbeitsbedingungen herstellen zu können, die es dem Behinderten ermöglicht, seine Arbeitskraft zu entfalten?

Mit freundlichen Grüßen

Luis Fernández Vidaud

Antwort
von Harald Wolf am 10. März 2010
Harald Wolf

Sehr geehrter Herr Vidaud,

für Menschen, die wegen ihrer Behinderung keinen Zugang zum allgemeinen Arbeitsmarkt haben, bieten Werkstätten für behinderte Menschen (WfbM) die Möglichkeit, dennoch am Arbeitsleben teilzuhaben.

Im Land Berlin bieten insgesamt 17 anerkannten Werkstattträger an über 80 Standorten ein breites Angebot an Arbeitsplätzen an, das der Art und Schwere der Behinderung, der unterschiedlichen Leistungsfähigkeit, den Entwicklungsmöglichkeiten sowie der Eignung und Neigung der behinderten Menschen weitestgehend Rechnung trägt. Ende 2008 waren im Land Berlin mehr als 7.350 behinderte Menschen in einer Werkstatt eingegliedert und verwirklichten so ihr Recht auf Teilhabe am Arbeitsleben.

Seit ihrem Bestehen werden die Werkstätten für behinderte Menschen kontinuierlich weiterentwickelt. Zentrales Anliegen des Berliner Förderprogramms „Schwerbehinderten-Joboffensive 2010“ ist es, Vermittlungs- und Integrationsmöglichkeiten von (schwer-)behinderten Menschen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu verbessern.

Ich habe keine Hinweise darauf, dass sich das Personal der Werkstatt, in der Sie gearbeitet haben, nicht korrekt verhalten hätte. Nach Ihrem Wechsel an eine andere Werkstatt wünsche ich Ihnen, dass Sie sich dort als Mensch mit Behinderung wohler, angenommen und wertgeschätzt fühlen. Ich hoffe, dass Sie dort mögliche Probleme und Konflikte konstruktiv lösen können und wieder Spaß an Ihrer Arbeit haben.

Mit freundlichen Grüßen
Harald Wolf, Bürgermeister und Senator für Wirtschaft, Technologie und Frauen