Sehr geehrter Herr Flüge,
Ihre grundsätzliche Kritik an der Höhe der Abgeordnetenentschädigung teile ich nicht. Nach meiner Ansicht fällt die Bewertung der Abgeordnetenarbeit im Vergleich zu ähnlich wichtigen und belastenden Tätigkeiten eher zu bescheiden als zu großzügig aus. Bezugspunkt können nicht das Durchschnittseinkommen oder eine Durchschnittsversorgung sein, sondern nur vergleichbare Tätigkeiten.
Erlauben Sie mir noch einige erläuternde Anmerkungen zur Diätenanpassung: Die Mitglieder des Deutschen Bundestages haben nach Artikel 48 Absatz 3 Anspruch auf eine angemessene, ihre Unabhängigkeit sichernde Entschädigung. Der jeweilige Betrag der Entschädigung muss auch der Bedeutung dieses besonderen Amtes unter Berücksichtigung der damit verbundenen Verantwortung und Belastung und außerdem auch des dem Mandat im Verfassungsgefüge zukommenden Ranges gerecht werden. An der Beantwortung der Frage nach der Angemessenheit der Bezüge für die Mitglieder des Bundestages im Vergleich zu allen anderen Erwerbstätigen unseres Landes haben sich in den letzten Jahrzehnten diverse Kommissionen versucht. Schon bei der Vorbereitung des Abgeordnetengesetzes 1976 haben gleich zwei Gremien aus Abgeordneten und Nichtparlamentariern als Orientierungsgröße für die angemessene Bezahlung der Abgeordneten, die Wahlkreise mit 160.000 bis 250.000 Wahlberechtigten vertreten, die Bezüge von Bürgermeistern kleiner Städte und von Gemeinden mit 50.000 bis 100.000 Einwohnern (Besoldungsgruppe B6) herangezogen. Mit der Gesetzesänderung 1995 wurde dieser Maßstab noch um die Bezugsgröße der Bezüge eines Richters an einem obersten Gerichtshof des Bundes (Besoldungsgruppe R 6) ergänzt und ausdrücklich in das Abgeordnetengesetz aufgenommen, da sie – wie Abgeordnete auch – bei der Ausübung ihres Amtes unabhängig und nur dem Gesetz unterworfen sind.
Allerdings ist der mit diesen Bezugsgrößen umschriebene Betrag für die Angemessenheit der Abgeordnetenentschädigung seit der Einführung des Abgeordnetengesetzes 1977 nie erreicht worden. Vielmehr haben die Abgeordneten des Deutschen Bundestages wiederholt auf eine Erhöhung ihrer Diäten verzichtet – so auch in den letzten fünf Jahren. Grund für den Verzicht war einerseits die vom Bundesverfassungsgericht aus dem Grundgesetz abgeleitete Notwendigkeit, die eigenen Bezüge selbst festzulegen und diese vor dem Wähler auch ständig zu rechtfertigen, sowie andererseits die Rücksichtnahme auf die allgemeine wirtschaftliche Entwicklung. Zuletzt wurden die Diäten zum 1. Januar 2003 angehoben. Daher beträgt die Lücke zwischen der aktuellen Abgeordnetenentschädigung von steuerpflichtigen 7.009 Euro und den gesetzlich vorgeschriebenen Bezugsgrößen derzeit 659 Euro bzw. 9,4 Prozent.
Die Neuregelung soll diesen erheblichen finanziellen Rückstand in zwei Schritten ausgleichen. Sie orientiert sich an dem, was der Bundestag bereits seit langem beschlossen, aber nie umgesetzt hat. Die jetzige nominelle Diätenerhöhung von 9,4 Prozent relativiert sich zudem, wenn man fairerweise den jährlichen durchschnittlichen Anstieg der Diäten zwischen dem 1. Januar 2003 und 1. Januar 2009 betrachtet, der bei alles andere als maßlosen rund 1,6 Prozent liegt.
Die Diätenerhöhung wird darüber hinaus mit einer gleichzeitigen Absenkung der Altersversorgung der Abgeordneten verbunden. Bereits mit dem ersten Schritt der Anpassung der Diäten wird der Steigerungssatz der Altersversorgung um 16 Prozent verringert. Die Höhe der Altersentschädigung wird von bisher 3 Prozent für jedes Jahr der Mitgliedschaft im Bundestag auf zukünftig 2,5 Prozent der monatlichen Abgeordnetenentschädigung abgesenkt. Darüber hinaus wird die Anhebung der Altersgrenzen in der gesetzlichen Rentenversicherung („Rente mit 67“) mit der stufenweisen Anhebung der Altersgrenze für die Altersentschädigung von dem 65. Lebensjahr auf das 67. Lebensjahr wirkungsgleich umgesetzt. An diesem Punkt hätte ich mir allerdings mehr Ehrgeiz im Sinne einer sofortigen Einführung der „Rente mit 67“ für Abgeordnete gewünscht.
Was Ihre Frage nach der Definition eines Volksvertreters angeht, verweise ich auf das Grundgesetz. Dort heißt es kurz und knapp: „Abgeordnete sind Vertreter des ganzen Volkes. Sie sind an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen.“ Das Urteil über die Leistung von Politikern liegt bei den Wählerinnen und Wählern, die mit ihrem Votum bei Wahlen darüber entscheiden, ob ein Politiker sein Mandat nach einer Legislaturperiode behält oder verliert.
Noch eine kleine Richtigstellung: CSU und CDU bilden im Bundestag eine gemeinsame Fraktion, ich selbst bin Mitglied der CDU.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Norbert Lammert