Sehr geehrter Herr Prof. Pahnke,
Ihre Zuschrift atmet eine Form der Zuspitzung, die nicht meine ist. Trotzdem, es geht doch um die Zukunft von Kindern und Jugendlichen. Und deshalb lohnt auch ein Disput. Ich will ihn allerdings an der Sache orientiert führen und nicht mit Pauschalurteilen. So muss ich den generellen Vorwurf, die Bildungspolitik des Landes Brandenburg gehe an den Bedürfnissen der Bevölkerung vorbei, schlicht zurückweisen.
Reden wir also über die Sache. Wir sind uns einig: Bildung ist – wie Sie schreiben - Zukunft für Deutschland. Dessen ist sich die Landesregierung – anders als von Ihnen dargestellt – voll bewusst. Zwei Beispiele: Nach den unbefriedigenden Noten in den PISA-Tests 2000 und 2003 hat meine Regierung vielfältige Anstrengungen unternommen. Der Erfolg ist nicht ausgeblieben. Die Auswertung der jüngsten Tests sieht Brandenburg nun als den „Aufsteiger“ schlechthin.
Zweitens: Der Bildungsminister, die Forschungsministerin, die Arbeitsministerin und ich sind derzeit landauf, landab unterwegs, um für die Fachkräftesicherung zu werben, Strategien gegen den sich abzeichnenden Fachkräftemangel zu initiieren oder zu unterstützen. Alle diese Aktivitäten haben das Ziel deutlich zu machen: ´Bildungschancen sind Lebenschancen – Wir dürfen kein Kind zurücklassen´. Dieser Maxime versucht die Landesregierung, mit einer Vielzahl von Aktivitäten und einem erheblichen finanziellen Aufwand gerecht zu werden.
Zum speziellen Beispiel, das Sie anführen – Bad Freienwalde vs. Rostock. Lassen Sie mich für Ortsunkundige voranstellen, dass hier eine dünn besiedelte Region an der Oder mit einer Großstadt verglichen wird. Das verzerrt tiefer gehende Rückschlüsse. Wenn schon Vergleich, dann mit einem Landkreis wie Mecklenburg-Strelitz. Dieser hat nach Recherchen unserer Bildungsexperten bei einer Fläche von über 2000 km² ein einziges Gymnasium in der Kreisstadt Neustrelitz. Da dürfte es mit der Erreichbarkeit innerhalb von 30 Minuten für die Schülerinnen und Schüler aus den weiter entfernt liegenden Städten und Dörfern doch etwas schwieriger werden. Im Gegenzug ist in Potsdam ebenso wie in Rostock selbstverständlich auch jedes Gymnasium innerhalb von 30 Minuten zu erreichen.
Ihr nächstes Argument betraf die Schülerfrequenzen. In Mecklenburg-Vorpommern beträgt die Mindestzahl für die Einrichtung von 7. Klassen an Einzelstandorten laut der „Verordnung über die Schulentwicklungsplanung“ wie in Brandenburg 54 Schülerinnen und Schüler. An Standorten mit mehreren Gymnasien müssen es dort sogar mindestens 61 Schülerinnen und Schüler in drei Klassen sein. Nach den bei unseren Bildungsexperten vorliegenden Informationen liegt die durchschnittliche Klassenfrequenz an öffentlichen Gymnasien in Rostock bei rund 25 in den Klassenstufen 7 bis 10. Die von Ihnen geschilderte Klassenfrequenz von 15 nehme ich als offensichtlichen Ausnahmefall zur Kenntnis.
Wie ist die Situation nun in Ostbrandenburg? Am Gymnasium Bad Freienwalde hatten sich zum Schuljahr 2008/09 lediglich 33 geeignete Schülerinnen und Schüler mit ihrem Erstwunsch angemeldet. Die Mindestzahl für die Einrichtung von 7. Klassen beträgt in Brandenburg – wie ich schon erläutert habe - an Gymnasien wie bei unseren nördlichen Nachbarn 54 Schülerinnen und Schüler. Wenn diese Zahl geringfügig unterschritten wird, kann eine Bildung von 7. Klassen mit Zustimmung des staatlichen Schulamtes dennoch erfolgen. Wenn die Mindestschülerzahl aber um mehr als 20 unterschritten wird, kann – da werden Sie mir zustimmen - von einer Geringfügigkeit keine Rede mehr sein. Diese Auffassung der Bildungsverantwortlichen hat auch das Verwaltungsgericht Frankfurt (Oder) in einem einstweiligen Rechtsschutzverfahren in dieser Angelegenheit im Juni dieses Jahres bestätigt.
Die von Ihnen beschriebenen Fahrzeiten zu anderen Gymnasien treffen übrigens nicht zu, weil die nächstgelegenen weiterführenden Schulen für das Einzugsgebiet Bad Freienwalde nicht in Eisenhüttenstadt, Beeskow oder Storkow liegen (in Storkow gibt es gar kein Gymnasium). Diese befinden sich in Eberswalde und Strausberg. Die Fahrzeiten zu diesen Schulen liegen für die betroffenen Schülerinnen und Schüler in der Regel deutlich unter einer Stunde.
Damit wir uns nicht missverstehen: Ich kann sehr gut nachvollziehen, dass es für alle Betroffenen, insbesondere die Schülerinnen und Schüler, aber auch für die Schule, die Stadt und ihre Bewohner ein schmerzlicher Vorgang ist, wenn keine neuen Klassen an einem Gymnasium eingerichtet werden, möglicherweise sogar die Schließung der Schule droht. Im konkreten Fall ist jedoch auffällig, dass sich im diesjährigen Übergangsverfahren zur Klasse 7 nur 10 von 71 Schülerinnen und Schülern der sechsten Klassen der drei Grundschulen der Kommune mit ihrem Erstwunsch am Gymnasium Bad Freienwalde angemeldet haben. Nicht einmal ein Drittel der Anmeldungen am Gymnasium kommt also von Schülerinnen und Schülern aus der eigenen Stadt, die ja die weitaus bevölkerungsreichste in der Region ist. Deshalb bedarf es nach meiner festen Überzeugung aller Anstrengungen, die Akzeptanz des Gymnasiums bei den Eltern zu verbessern. Dazu hat Bildungsminister Rupprecht seine Unterstützung angeboten.
In Wittstock und Treuenbrietzen wurden Ausnahmen durch die staatlichen Schulämter deshalb zugelassen, weil die Fahrzeiten zu alternativen Standorten dort erheblich länger gewesen wären. Zudem waren die Schülerzahlen an diesen Gymnasien mit 42 bzw. 46 nicht nur deutlich höher als in Bad Freienwalde, sondern auch noch innerhalb der Bandbreite für die Klassenbildung (20 – 28).
Gestatten Sie mir zum Schluss noch eine weitergehende Bemerkung: In den vergangenen Jahren hat die Zahl brandenburgischer Kinder und Jugendlichen an Schülerwettbewerben kontinuierlich zugenommen. Das gilt für Olympiaden in Deutsch, Russisch, Chemie, Biologie, aber auch für die Bundeswettbewerbe „Jugend debattiert“ und „Jugend forscht“. In diesem Jahr konnte Minister Rupprecht 71 Preisträger und Medaillengewinner beglückwünschen, die zuvor an bundesweiten und internationalen Schülerwettbewerben erfolgreich teilgenommen hatten. Ich meine, das ist auch ein Erfolg der Begabtenförderung in unserem Land. Dies hat nichts mit Elitedenken zu tun, sondern mit Chancengleichheit. Es spricht einfach für unsere Anstrengungen, Bildung ständig zu verbessern.
Sehr geehrter Herr Prof. Pahnke, ich bin weit davon entfernt, Probleme klein zu reden oder zu verharmlosen. Wir begreifen die deutlich besseren PISA-Ergebnisse deshalb auch als Ansporn und Aufgabe. Und der gewaltige Geburtenknick Anfang der 1990er Jahre ist ein großes Problem, das sich über Jahrzehnte durch alle Stufen unseres Bildungssystems zieht und mit dem unsere Landesregierung verantwortlich umzugehen hat. Nach meiner festen Überzeugung tut sie dies und sie wird es weiter tun.
Mit freundlichem Gruß
Matthias Platzeck
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