Sehr geehrter Herr Dr. Mroczkowski,
Meinungsfreiheit mutet uns manches zu, und es ist richtig, sie gegebenenfalls auch juristisch zu schützen. Meinungsfreiheit umschreibt jedoch einen weiten Raum, der beispielsweise auch Satire oder so banale Dinge wie Uninformiertheit und selbst Dummheit einschließt. Bezogen auf den konkreten Fall, den Sie ansprechen, habe ich deshalb nach Abwägung aller Aspekte keine Notwendigkeit zu einem juristischen Vorgehen gesehen.
Im Zusammenhang mit Religionsfragen wundere ich mich allerdings zunehmend darüber, dass manche Menschen der Religion als solcher das Existenzrecht absprechen und glaubende Menschen hochnäsig als unvernünftig herabwürdigen. Davon zeugen viele Beiträge in Internet- kommentaren und selbst von Journalisten, die eigentlich die professionellen Anwälte der Meinungsfreiheit und einer gepflegten Diskussionskultur sein sollten. An die Stelle einer offenen Kommunikation und Argumentation treten Besserwisserei und manchmal grobe Gehässigkeit und damit gleichsam das Gegenteil von Meinungs- und auch Religionsfreiheit – beides übrigens verbriefte Grundrechte.
Dieses Verhalten entspringt nicht selten einer Selbstüberschätzung, die den eigenen Denkhorizont immer auch schon als Grenze jeder möglichen Erkenntnis betrachtet. Solche Respektlosigkeit richtet sich nicht nur gegen andere Meinungen und Ansichten, sondern – und das ist äußerst bedenklich – gegen die Menschen, die andere Ansichten vertreten. Ich glaube, wir müssen darauf achten, dass in unserer Mediengesellschaft mit ihren beinahe unbegrenzten Möglichkeiten der Diskussionsteilhabe eine respektvolle Diskussionskultur nicht verloren geht: Im Andersdenkenden erkenne ich immer zuerst den Mitmenschen.
Die Meinungsfreiheit ist ein hohes Gut. Ich habe als Bürger und Bischof der ehemaligen DDR am eigenen Leibe erlebt, was Zensur und Unterdrückung und die damit verbundene Rechtlosigkeit bedeutet. Allein mit rechtlichen Schritten ist allerdings die erwähnte Diskussionskultur nicht zu erreichen. Manche Vorkommnisse erhalten durch eine juristische Auseinandersetzung auch eine zusätzliche Aufmerksamkeit, die sie gar nicht verdienen. Rechtliche Schritte wollen daher mit Bedacht erwogen werden – wobei ich gegebenenfalls keinesfalls zögere, sie auch zu gehen.
Wir dürfen uns als Christen andererseits auch nicht vorschnell in einen Schmollwinkel zurückziehen, wenn es in gesellschaftlichen Diskussionen hoch her geht. Die Ermutigung Christi, dass wir uns nicht fürchten sollen, gilt auch in unserer heutigen Medienwelt. Ich weiß, dass dies oft mühsam ist. Aber wenn wir getreu dem Evangelium auch in den sozialen Kommunikationsmitteln „Rede und Antwort stehen“ (vgl. 1 Petrus 3,15), schärft dies unsere Glaubwürdigkeit und unser Profil. Als die furchtbaren Missbrauchsfälle in der Kirche bekannt wurden, habe ich ausdrücklich jenen Medien gedankt, die mit sachlicher Aufklärung zur Aufdeckung dieser Verbrechen beigetragen haben. Das war ein schmerzlicher, aber notwendiger Prozess.
Wichtiger noch erscheint mir allerdings etwas anderes: Ich werde nicht müde darauf hinzuweisen, dass hier jede und jeder Einzelne als Staatsbürger und zumal als Christ vor der Aufgabe steht, sich an der öffentlichen Diskussion zu beteiligen, indem er seine Meinung und gegebenenfalls seinen Widerspruch einbringt – auch und gerade über die Medien. Sie sprechen den gebührenfinanzierten öffentlich-rechtlichen Rundfunk an: Als Gebührenzahler haben Sie gleichsam sogar ein „erkauftes“ Recht zur angemessenen Mitwirkung.
Deshalb kann ich namentlich alle getauften und gefirmten Christen immer wieder nur ermuntern: Beteiligen Sie sich an der öffentlichen Diskussion! Schreiben Sie Ihrem Sender, beteiligen Sie sich mit Leserbriefen, nutzen Sie die Meinungsforen im Internet, machen Sie sich als Christen bemerkbar, die etwas zu sagen und beizutragen haben! Denn in Taufe und Firmung haben wir die Mündigkeit des Evangeliums empfangen – das heißt in diesem Zusammenhang: wir dürfen und sollen als Christen den Mund aufmachen und mitreden in der Welt! Diese Mündigkeit lässt sich nicht delegieren.
Ich verspreche Ihnen, dass ich als Bischof nicht stumm bleiben werde, wo dies die Botschaft Jesu, die Würde des Menschen oder mein Amt erfordern, sei es gelegen oder ungelegen. Es wäre zu wünschen, wenn sich viele Christen davon ermutigen ließen, an ihrem Platz und mit ihren – nicht geringen! – Möglichkeiten ebenfalls das Ihre zur öffentlichen Diskussion beizutragen.
Mit freundlichen Grüßen
+ Joachim Kardinal Meisner