Sehr geehrte Frau Weinreich,
zu Ihren Fragen gibt es ein sehr instruktives Dokument der Glaubens- kongregation vom Juni 2000. Es befasst sich mit der Botschaft von Fatima, trifft darüber hinaus aber auch grundsätzliche Feststellungen zum Thema Privatoffenbarung. Dort heißt es u.a.: „Die Lehre der Kirche unterscheidet zwischen der «öffentlichen Offenbarung» und den «Privatoffenbarungen». Zwischen beiden besteht nicht nur ein gradueller, sondern ein wesentlicher Unterschied. Das Wort «öffentliche Offenbarung» bezeichnet das der ganzen Menschheit zugedachte Offenbarungshandeln Gottes, das seinen Niederschlag in der zweiteiligen Bibel aus Altem und Neuem Testament gefunden hat. (…) In Christus hat Gott alles, nämlich sich selbst gesagt, und deswegen ist die Offenbarung mit der Gestaltwerdung des Christusgeheimnisses im Neuen Testament abgeschlossen. (…) Der Maßstab für Wahrheit und Wert einer Privatoffenbarung ist demgemäß ihre Hinordnung auf Christus selbst.“ Soweit dieser Text, den Sie online unter http://www.vatican.va/roman_curia/congregations/cfaith/do... finden.
Zum einen dürfen wir also – buchstäblich zu unserer eigenen Sicherheit – wissen: Alles, was zum Heil notwendig ist, ist in Christus offenbar geworden. Zum anderen können wir seine Offenbarung immer tiefer und besser verstehen lernen. Dies ist auch die bleibende Aufgabe jedes glaubenden Menschen. Der Katechismus der Katholischen Kirche (KKK) sagt dazu: „Obwohl die Offenbarung abgeschlossen ist, ist ihr Inhalt nicht vollständig ausgeschöpft; es bleibt Sache des christlichen Glaubens, im Lauf der Jahrhunderte nach und nach ihre ganze Tragweite zu erfassen“ (Nr. 66f).
Vor diesem Hintergrund ergeben sich auch die Antworten auf Ihre weiteren Fragen: Privatoffenbarungen sind immer „relativ“, das heißt rückbezogen auf die Offenbarung in Christus, der in seiner Kirche fortlebt. Eine Privat- offenbarung kann deshalb auch nicht in Konkurrenz zum Glauben der Kirche treten; dieser ist der Maßstab über Wahrheit und Irrtum. Dies gründet auf der Treue Christi selbst, der seiner Kirche das Bleiben in der Wahrheit zugesagt hat.
Orte wie Medjugorje können daher eine Hilfe sein, tiefer in das Geheimnis Gottes, seiner Menschwerdung in Jesus Christus und seiner bleibenden Gegenwart in der Kirche einzudringen. Nicht jeder braucht diese Hilfe und in dieser Weise; die Möglichkeiten sind vielfältig. Ich persönlich halte es hier mit dem Apostel Paulus, der im Brief an die Thessalonicher schreibt: „Löscht den Geist nicht aus! Verachtet prophetisches Reden nicht! Prüft alles und behaltet das Gute!“ (5,19-21)
Mit freundlichen Grüßen
Joachim Kardinal Meisner