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Beantwortet
Autor J. Drechsler am 21. August 2013
13360 Leser · 27 Stimmen (-9 / +18)

Gesellschaftliche Fragen

Bedingungsloses Grundeinkommen

Sehr geehrter Herr Kardinal Meisner,

was würden Sie davon halten, wenn man in unserem Lande ein bedingungsloses Grundeinkommen für jeden einführen würde?

Es stünde jedem Menschen individuell und in existenzsichernder Höhe zu. Der Staat würde es an jeden ohne Bedürftigkeitsprüfung und frei von jeglicher Verpflichtung oder jeglichem Zwang zu Arbeit oder Tätigkeit zahlen.

Dann wären die Menschen freier in der Wahl ihrer Tätigkeiten. Vieles, was zu tun wichtig ist und jetzt liegen bleibt, weil kein Arbeitgeber dafür bezahlt, könnte freiwillig getan werden.
Die Tätigkeiten der Menschen wären gleichmäßiger verteilt auf die Bereiche Erwerbsarbeit, Familienarbeit und gesellschaftliches Engagement. Jeder könnte sich mit seinen Fähigkeiten zum Wohle aller einbringen und teilhaben. Keiner wäre mehr ausgeschlossen, weil er ohne Erwerbsarbeit ist.

Denn es gibt genug zu tun. – Auf jede geleistete Stunde Erwerbsarbeit kommen jetzt schon fast zwei weitere Arbeitsstunden, welche beispielsweise in den Familien, in den Pfarreien, Vereinen und Verbänden zumeist ehrenamtlich und freiwillig geleistet werden. Und das ist notwendig für das gelingende Miteinander in Kirche, Staat und Gesellschaft.

Mit einem bedingungslosen Grundeinkommen könnte praktisch verwirklicht werden, was Papst Johannes Paul II. in seiner Enzyklika Laborem exercens beschrieben hat:

Durch seine Arbeit nimmt der Mensch – Abbild Gottes – am Werk des Schöpfers teil. Er entwickelt das Werk des Schöpfers weiter, dient dem Wohl seiner Brüder und trägt dazu bei, den göttlichen Plan geschichtlich zu erfüllen. Die verschiedenen Handlungen, die er innerhalb des Arbeitsprozesses vollzieht – sie dienen der Verwirklichung seines Menschseins und der Erfüllung seiner Berufung zum Personsein. (Vgl. Laborem exercens 25 und 6)

Ich freue mich über Ihre Antwort und verbleibe mit freundlichen Grüßen

Jörg-Stefan Drechsler

+9

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Antwort
von Joachim Kardinal Meisner am 14. November 2013
Joachim Kardinal Meisner

Sehr geehrter Herr Drechsler,

Ihre interessante Fragestellung lässt sich schwer allgemein beantworten. Denn es gibt ja recht unterschiedliche Ausprägungen des Konzepts eines bedingungslosen Grundeinkommens. Sie unterscheiden sich insbesondere in der Höhe des bedingungslosen Grundeinkommens (auch Ihre Formulierung „existenzsichernd“ lässt viel Interpretationsspielraum zu) und in den Finanzierungsmodellen. Jede Variante müsste eigens betrachtet werden, es sei denn, es gäbe grundsätzliche Erwägungen, die für oder gegen das Modell des bedingungslosen Grundeinkommens als solches sprächen.

Darum einige Überlegungen in prinzipieller Hinsicht: Ein wichtiger Streitpunkt in der Auseinandersetzung um das bedingungslose Grundeinkommen ist die Frage, welche Anreize zu arbeiten ein bedingungsloses Grundeinkommen setzt. Sie argumentieren mit anderen, dass ein bedingungsloses Grundeinkommen unbezahlte Arbeit aufwertet. Andere befürchten, ein bedingungsloses Grundeinkommen würde zu einem höheren Maß an Untätigkeit führen. Mir scheint, beide Argumentationslinien spiegeln das biblische Bild vom Menschen und Positionen der katholischen Soziallehre zur Arbeit wider:
Zum einen führt der Mensch durch seine Arbeit (sei sie bezahlt oder unbezahlt) das Schöpfungswerk Gottes fort. Die Arbeit stellt so eine Form der Selbstverwirklichung und Selbstvervollkommnung des Menschen dar. Sie verweisen in Ihrer Fragestellung zu Recht auf die Enzyklika Laborem Exercens von Johannes Paul II. Unter dieser Perspektive wäre es nicht zu befürchten, dass ein bedingungsloses Grundeinkommen die Menschen zur Untätigkeit verleiten würde. Vielmehr könnte ein bedingungsloses Grundeinkommen den Menschen die Freiheit geben, gemäß ihren ureigensten Begabungen tätig zu werden.
Zum anderen liegt in der Arbeit letztlich nicht die Erfüllung und Vollendung des Menschen. Sie besteht in der lebendigen Beziehung mit Gott. Und auch die Arbeit findet – nach getanem Werk – in der Unterbrechung, ja dem Ende der Arbeit ihre Vollendung, so wie das Schöpfungswerk Gottes seine Vollendung in der Ruhe am siebten Tag findet (vgl. Gen 2,1-3). Unter dieser Perspektive wäre es durchaus nachvollziehbar, dass Menschen mit einem bedingungs- losen Grundeinkommen kurzschlüssig dazu neigen könnten, nicht zu arbeiten, weil Arbeit nicht das letzte Ziel des Menschen ist.

Die biblisch fundierten Positionen der katholischen Soziallehre zur mensch- lichen Arbeit führen mich also nicht zu einer eindeutigen grundsätzlichen Meinung für oder gegen die Einführung eines bedingungslosen Grund- einkommens. Auch die zentralen klassischen Prinzipien der katholischen Soziallehre der Personalität, Solidarität und Subsidiarität sowie die grundlegenden Prinzipien der Nachhaltigkeit, des Gemeinwohls, der Gerechtigkeit und der Option für die Armen sprechen aus meiner Sicht weder eindeutig für noch eindeutig gegen das Modell eines bedingungslosen Grundeinkommens als solches.

Deshalb kann meine Position zur Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens nur von pragmatischen Erwägungen abhängen: Inwieweit ist das Modell realisierbar, inwieweit finanzierbar und inwieweit trägt es zu einer besseren gesellschaftlichen Ordnung bei? In diesen Fragestellungen habe ich als Erzbischof keine ausgewiesene fachliche Kompetenz und kann mich hierzu nur als Person und Bürger äußern.

Wenn Sie mich nun nach meiner persönlichen Meinung als Bürger fragen, muss ich Ihnen gestehen, dass ich dem Modell eines bedingungslosen Grundeinkommens mit einer gewissen Skepsis begegne. Denn falls ein bedingungsloses Grundeinkommen zu niedrig ist, um den Lebensunterhalt zu decken, sind zusätzliche sozialstaatliche Maßnahmen erforderlich. Falls das Grundeinkommen jedoch so hoch ist, dass ein auskömmlicher Lebensstandard ohne eigenständige Erwerbstätigkeit gedeckt ist, stellen sich wohl nicht nur erhebliche Finanzierungsprobleme. Es besteht wohl auch die Gefahr, dass Einzelne oder ganze Gruppen dauerhaft nicht mehr am Erwerbsleben teilhaben. Insbesondere jüngere Menschen könnten mit einem bedingungslosen Grundeinkommen zu geringe Anreize haben, eine gute Schulbildung und Ausbildung zu absolvieren.

Mit freundlichen Grüßen