Sehr geehrter Herr Weth,
schon als der Vater des heiligen Johannes des Täufers, Zacharias, über seinen Sohn weissagte, bezeichnete er die Vergebung der Sünden als „Erfahrung des Heils“ (Lukasevangelium 1,77). Auch in der Schule des Apostels Paulus lernt man, dass unsere Erlösung in der Vergebung der Sünden durch Christi Blut besteht (Epheserbrief 1,7; vgl. Kolosserbrief 1,14).
Es ist eine menschliche Urerfahrung, von eigener Sünde und Schuld belastet zu werden. Lange vor der Einsetzung des Bußsakramentes gesteht der Psalmist: „Solang ich es verschwieg, waren meine Glieder matt, den ganzen Tag musste ich stöhnen. Denn deine Hand lag schwer auf mir bei Tag und bei Nacht; meine Lebenskraft war verdorrt wie durch die Glut des Sommers. Da bekannte ich dir meine Sünde und verbarg nicht länger meine Schuld vor dir. Ich sagte: Ich will dem Herrn meine Frevel bekennen. Und du hast mir die Schuld vergeben“ (Psalm 32,3-5). Heute freilich wird diese Erfahrung auf bisweilen schon systematisch anmutende Weise verdrängt und weginterpretiert; das mag einer der Gründe dafür sein, dass in unserer Gesellschaft die Frohe Botschaft vom Sieg Christi über Sünde und Tod oft ungehört verhallt.
Die Erlösung von der Macht der Sünde wird uns zunächst einmal durch die Taufe geschenkt, wie wir im Großen Glaubenbekenntnis beten: „Wir bekennen die eine Taufe zur Vergebung der Sünden.“ Die Erkenntnis, dass auch Getaufte wieder straucheln und in Sünde fallen können, führte in der kirchlichen Frühzeit zur Ausbildung des Bußsakramentes „vor allem für jene, die nach der Taufe in schwere Sünde gefallen sind und so die Taufgnade verloren und die kirchliche Gemeinschaft verletzt haben. Ihnen bietet das Sakrament der Buße eine neue Möglichkeit, sich zu bekehren und die Gnade der Rechtfertigung wiederzuerlangen. Die Kirchenväter stellen dieses Sakrament dar als »die zweite [Rettungs]planke nach dem Schiffbruch des Verlusts der Gnade« (Tertullian, pæn. 4,2) …“ (Katechismus der Katholischen Kirche 1446).
Nun können sich Sünden nach ihrer Gewichtigkeit und Tragweite unterscheiden; das hängt von der Höhe des Schadens ab, den der Sünder verursacht, aber nicht zuletzt auch von dessen Sündenbewusstsein, wie Sie richtig schreiben. Die kirchliche Praxis trägt diesen Unterschieden Rechnung, aber nicht nach Art eines kleinlichen Buchhalters, der beispielsweise für leichte Sünden auf Formular A („Bußgottesdienst“) und für schwere auf Formular B („Einzelbeichte“) besteht. Den wahren Zusammenhang verstehen wir vielleicht am besten, wenn wir auf unser eigenes Leben schauen:
Stellen Sie sich vor, Sie hätten einem lieben Menschen Unrecht getan. Wenn dies keinen größeren Schaden angerichtet hat und unabsichtlich geschehen ist, reicht für gewöhnlich ein (vielleicht sogar nur knappes) Wort des Bedauerns und der Entschuldigung. Anders verhält es sich jedoch, wenn Sie jemanden ernstlich verletzt haben – und dies vielleicht sogar bewusst und überlegt. Dann werden Sie, wenn Ihre Tat Sie reut, diesen Menschen um ein persönliches Gespräch bitten, ihm ins Angesicht sagen, was Sie zu Ihrem Fehlverhalten getrieben hat und wie sehr Sie dieses bedauern. Und wenn der besagte Mensch versöhnungsbereit ist, dann wird er auf Ihre Vergebungsbitte eingehen, Ihnen ausdrücklich verzeihen und dies vielleicht sogar mit einem Zeichen – beispielsweise indem er Ihnen die Hände reicht – verdeutlichen und besiegeln. So hat es auch der barmherzige Vater in Jesu Gleichnis getan: Er lief dem verloren geglaubten, dann aber doch reumütig zurückkehrenden Sohn entgegen, fiel ihm um den Hals und küsste ihn (vgl. Lukasevangelium 15,20).
Mit unserem Verhältnis zu Gott verhält es sich genauso: Bei der leichten oder „lässlichen“ Sünde genügen unsere Reue und das allgemeine Eingeständnis im Bußgottesdienst oder beim Bußakt zu Beginn der heiligen Messe; auch die andächtige Kommunion tilgt leichte Sünden. Bei schweren Vergehen jedoch bitten wir gewissermaßen Christus um ein persönliches Gespräch, das er uns in der Gestalt des Beichtvaters gewährt. Diesem, der in der Person und Vollmacht Christi des Hauptes spricht und handelt, können wir die Schuld, die uns belastet und niederdrückt, in die Hände legen.
„Gott, der barmherzige Vater, hat durch den Tod und die Auferstehung seines Sohnes die Welt mit sich versöhnt und den Heiligen Geist gesandt zur Vergebung der Sünden. Durch den Dienst der Kirche schenke er dir Verzeihung und Frieden. So spreche ich dich los von deinen Sünden im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.“ Diese Lossprechungsformel ist die verbindliche Vergebungszusage Gottes - und zugleich seine Umarmung, sein Kuss. Darum möchte ich Sie und alle abschließend dazu ermutigen, nicht nur bei schweren Sünden, sondern auch bei leichteren Vergehen die verzeihende Zuwendung Gottes in Anspruch zu nehmen, die er uns jederzeit anbietet. Für Gott ist nichts Menschliches zu klein oder zu unbedeutend.
Mit freundlichen Grüßen