Sehr geehrte Frau Neuhaus!
„Ars (bene) moriendi – die Kunst, (gut) zu sterben“: Unter diesem Titel hat sich vom späten Mittelalter an eine christliche Literaturgattung etabliert. Die Bücher wollen den Menschen beim Übergang ins ewige Leben helfen, indem sie diese beispielsweise in ihrem Glauben stärken und gegen Versuchungen und Zweifel beistehen.
Natürlich geht der Kunst zu sterben die Kunst zu leben voraus. Zwar schenkt Gott uns seine Gnade, ohne dass wir dafür eine Vorleistung erbringen müssten oder auch nur könnten. Besonders eindringlich lernen wir das in der Schule des heiligen Paulus: „Denn aus Gnade seid ihr durch den Glauben gerettet, nicht aus eigener Kraft - Gott hat es geschenkt -, nicht aufgrund eurer Werke, damit keiner sich rühmen kann“ (Epheserbrief 2,8-9). An uns ist es jedoch, aus dieser Gnade heraus unser Leben zu gestalten, Gott und den Nächsten zu lieben und alles zu halten, was uns geboten ist. Wenn wir dies ein Leben lang versäumen, wenn wir die Gottes- und Nächstenliebe nicht einüben und praktizieren, dann wird es uns auf dem Sterbebett schwerfallen, uns endgültig für Gott und seine Gnade zu öffnen.
Natürlich können wir als schwache und fehlbare Menschen in diesem Bemühen auch einmal scheitern; dann bietet uns die Begegnung mit Christus im Sakrament der Buße die Möglichkeit, unserer Verfehlungen zu beichten und Verzeihung dafür zu finden. Wer dazu vor seinem Tod keine Möglichkeit mehr hat – also nicht etwa leichtfertig oder gar bewusst die Versöhnung meidet -, dem wird Gott, der „will, dass alle Menschen gerettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit gelangen“ (1. Timotheusbrief 2,4), die Vergebung gewiss nicht verweigern. Dazu genügt es schon, dass der Sterbende wenigstens den Wunsch hatte zu beichten, wie das Konzil von Trient lehrt.
„Richtige“ oder „falsche“ Techniken und Praktiken, um sich auf dem Sterbebett Eingang in den Himmel zu verschaffen, gibt es nicht. Auch die Anwesenheit eines Priesters nach dem Tod trägt dazu nichts bei, wiewohl es immer richtig ist, für einen Menschen vor und nach dessen Tod zu beten. Wohl dürfen wir in unserem Sterben – das ja zum Leben gehört und dieses vollendet – auf besondere Weise Gottes Gnade erfahren: Das Sakrament der Krankensalbung stärkt den Schwerkranken und Sterbenden und vereint ihn mit dem heilbringenden Leiden Christi; auch die Sterbekommunion („Wegzehrung“ oder „Viaticum“) gibt ihm Kraft für seinen letzten Weg.
Wiederum geht es also nicht darum, dass der Sterbende in einer bestimmten Art und Weise handelt, sondern darum, dass er Gott an sich handeln lässt. Sich zu öffnen, das ist das einzige „Tun“, das erforderlich ist. Denn der Tod ist für Christus keine Grenze. Wie der Apostel Paulus schreibt: „Keiner von uns lebt sich selber und keiner stirbt sich selber: Leben wir, so leben wir dem Herrn, sterben wir, so sterben wir dem Herrn. Ob wir leben oder ob wir sterben, wir gehören dem Herrn. Denn Christus ist gestorben und lebendig geworden, um Herr zu sein über Tote und Lebende“ (Römerbrief 14,7-9). In dem Wissen, dass wir beim Sterben nur von der einen in die andere Hand Gottes wechseln, können wir dem Ende unseres irdischen Lebens mit Zuversicht entgegensehen
Mit freundlichen Grüßen