Sehr geehrter Herr Kehlmann,
vielen Dank für Ihren Eintrag auf diesem Portal. Sie thematisieren eine Wahrnehmung, die ich in Ihrer Absolutheit allerdings aus eigener Erfahrung so nicht teilen kann. Wie Sie sich sicher vorstellen können, bin ich in meinem Amt als Ministerpräsident viel im Land unterwegs und treffe auch regelmäßig Schüler, Eltern und Pädagogen.
Insofern habe ich Zweifel, ob Ihre Feststellung, in den Köpfen der Jugend sei das „falsche Bewusstsein“ über die DDR-Vergangenheit im Vormarsch, zutrifft. Auch sehe ich keinen „Geschichtsrevisionismus“ unter der Jugend. Man kann aber sicher davon sprechen, dass einige Menschen in Ostdeutschland den untergegangenen Staat mittlerweile in milderem Licht sehen als es gerechtfertig wäre. Ihren Wissensgewinn seit 1989 um die inhumanen Aspekte des SED-Regimes integrieren sie nur partiell in das persönliche Gedächtnis. Das hat nach meiner Beobachtung auch damit zu tun, dass viele Menschen die schlagwortartig geführten Debatten um das Wesen der DDR leid sind, weil sie oftmals nicht ihre eigenen Lebenserfahrungen treffen. Es bleibt dabei: Die DDR ist mausetot, weil die eigene Bevölkerung sie damals abgeschafft hat, weil sie politisch und wirtschaftlich am Ende war. Wir müssen sie deshalb heute nicht noch einmal begraben.
Aber, sehr geehrter Herr Kehlmann, selbstverständlich bedeutete die DDR für Millionen von Menschen über Jahrzehnte hinweg vor allem Familie, Kinder und Freundschaft, Schule und Beruf, Liebe und Leid, Hoffnungen und Enttäuschungen. Das überträgt sich selbstverständlich in den Familien auch auf die nächste Generation. Ich würde mir natürlich wünschen, dass Eltern ihren Kindern möglichst viel über das Leben in der DDR mit all seine unterschiedlichen Facetten erzählen.
Angesichts offenbarer Wissensdefizite ist meines Erachtens von entscheidender Bedeutung, gerade in der jungen Generation ein Verständnis über den Charakter der Diktatur in der DDR zu wecken. Um die Jugendlichen zu erreichen, müssen die sich Bildungsangebote intensiv mit der Geschichte der DDR befassen. Das gehört für mich zur Demokratieerziehung. Manche Lehrerinnen und Lehrer sind auf diesem Feld – wie ich in zahlreichen Gesprächsrunden mit Schülerinnen und Schüler erlebt habe – noch viel zu zurückhaltend. Auch deshalb hat unsere Lehrer-Fortbildungseinrichtung den Arbeitsschwerpunkt „Geschichte der DDR“. Die politische Bildung spricht gezielt Jugendliche an, darunter mit Zeitzeugenprojekten. Ich bin zuversichtlich, dass die Veranstaltungen und Veröffentlichungen anlässlich des 20. Jahrestages der friedlichen Revolution auch vielen jungen Leuten hilft, die DDR politisch so einzuordnen, wie sie war – eine Diktatur, die ihre Herrschaft nur durch Abschottung, Stacheldraht, Schießbefehl und Unterdrückung aufrecht erhalten konnte.
Sehr geehrter Herr Kehlmann, lassen Sie uns dieses Jahr in dem Gefühl begehen, dass die Menschen in der DDR vor 20 Jahren das Richtige getan und seitdem viel geleistet haben, um das ´realsozialistische Erbe´ hinter sich zu lassen. Das gehört nämlich für mich vor allem dazu, wenn wir über uns Brandenburger im Jahre 2009 reden. Lassen Sie uns dafür sorgen, dass wir die richtigen Lehren aus der Wirtschafts- und Finanzkrise ziehen und damit unser demokratisches System ein Stück zukunftsfester machen. Ich bin überzeugt, dass das langfristig der einzig erfolgversprechende Weg ist, der Sehnsucht nach der DDR und der Verklärung des alten Systems den Boden zu entziehen.
Mit freundlichen Grüßen
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