Sehr geehrter Herr Pickert,
„Was wäre gewesen, wenn…?“ zählt zu den Fragen, über die sich trefflich spekulieren lässt und die deshalb auch so beliebt sind, wie sich jetzt wieder auf meinem Portal direktzu gezeigt hat. Vor allem aber drängen sich derartige Fragen dann auf, wenn etwas nicht so gelaufen ist wie erhofft. Dann überlegt man noch einmal, ob es nicht doch Möglichkeiten gegeben hätte, das gewünschte Ergebnis zu erreichen. So ein Nach-Denken, am besten mit zeitlichem Abstand und innerer Gelassenheit, hat seinen Wert – aber eben auch seine Grenzen, weil es wie gesagt zum Spekulieren verführt. Und dafür bin ich ehrlich gesagt nicht zu haben.
Doch der Reihe nach: Was die Wahl des Bundespräsidenten betrifft, so darf ich Ihnen zunächst versichern, dass sich meine Partei die Entscheidung in der Kandidatenfrage auch diesmal nicht leicht gemacht hat. Sie werden sich erinnern, dass die Frage nach einer Kandidatin oder einem Kandidaten für dieses hohe und besondere Amt schon des Öfteren zu engagierter, ja leidenschaftlicher Diskussion geführt hat, nicht nur bei der SPD. Diesmal waren Regierungs- und Oppositionsparteien gezwungen, nach dem für alle überraschenden Rücktritt von Horst Köhler unter hohem Zeitdruck geeignete Kandidaten zu finden und der Öffentlichkeit vorzustellen. Die Chance, über die Wahl eines neuen Bundespräsidenten, den - wie Sie schreiben - „großen Wechsel herbeizuführen“, habe ich damals nicht gesehen und sehe sie bis heute nicht. Da wurde meiner Meinung nach eine Erwartungshaltung geweckt oder bedient, die unrealistisch war. Das Amt des Bundespräsidenten ist strikt überparteilich angelegt und auszuüben. Das gilt auch für charismatische Persönlichkeiten und ist nach meiner Meinung unabdingbar.
Sie, sehr geehrter Herr Pickert, thematisieren vor allem die Frage, ob SPD und Bündnis 90/Die Grünen die Chance vertan haben, ihren Kandidaten Joachim Gauck mit Unterstützung der LINKEN zum Bundespräsidenten zu wählen. Ich bin der Meinung, dass die Chance zur Zusammenarbeit in diesem konkreten Fall - wenn überhaupt - so nur theoretisch bestand. Praktisch haben wir von der SPD und auch die Bündnis 90/Die Grünen sehr unterschiedliche Erfahrungen mit Vertretern der LINKEN gemacht, im Bund, in den Ländern, in verschiedenen politischen Fragen. In Brandenburg haben die Erfahrungen der SPD mit der LINKEN auf der Grundlage der Wahlergebnisse vor einem Jahr zu einer rot-roten Koalitionsregierung geführt. In anderen Konstellationen gestaltet sich die Zusammenarbeit aber auch anders. Hinzu kommt, dass die LINKE selbst keine überzeugende Zustimmung zu unserem Kandidaten Joachim Gauck zustande gebracht hat, bis zuletzt nicht. Ich bin aber mit Ihnen durchaus einer Meinung, dass es oft hilfreich ist, sich in die Rolle des Gegenübers hineinzuversetzen. So ein „Seitenwechsel“ in Gedanken kann zu überraschenden Einsichten verhelfen.
Nun, die Bundespräsidentenwahl ist Geschichte, und die Würfel sind längst gefallen. Ich bin überzeugt, dass Christian Wulff sein Amt sehr gut ausüben wird. Am 09. November 2010 werden wir zu meiner Freude Bundespräsident Wulff zu seinem ersten offiziellen Besuch in Brandenburg begrüßen dürfen.
Mit freundlichem Gruß
Kommentare (0)Öffnen
Um einen Kommentar schreiben zu können, müssen Sie angemeldet sein.