Sehr geehrter Herr Schütze,
um es gleich vorweg zu sagen: Ich nehme die Sorgen und Ängste in der Bevölkerung hinsichtlich schwerer Kriminalität und des Umgangs mit Täterinnen und Tätern sehr ernst. Es steht außer Frage, berechtigter Kritik auch an Entscheidungen zum Umgang mit Verdächtigen oder bereits Verurteilten muss nicht nur nachgegangen, sondern es müssen auch Konsequenzen gezogen werden. Zugleich wird das von Ihnen angesprochene Thema – eben weil es oft um harte persönliche Schicksale der Opfer geht – sehr emotional debattiert. Auf diese Art und Weise geraten mitunter Fakten aus dem Blick und es entsteht eine nicht selten einseitige Sicht auf die Dinge.
Deshalb nehme ich sehr gerne die Gelegenheit wahr, nicht nur Ihnen, sondern allen interessierten Leserinnen und Lesern meines Portals das System der Vollzugslockerungen im besagten Musterentwurf für ein Strafvollzugsgesetz zu erläutern. Diesen Entwurf haben zehn Bundesländer gemeinsam erarbeitet. An der Erarbeitung waren neben Brandenburg die Justizressorts von Berlin, Bremen, Mecklenburg-Vorpommern, Rheinland-Pfalz, dem Saarland, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein und Thüringen beteiligt. Also wenn Sie so wollen, präsent war die gesamte politische Bandbreite in Deutschland.
Doch nun zu den Einzelheiten: Der Gesetzentwurf legt - wie bisher - als Vollzugsziel fest, die Gefangenen zu einem Leben ohne Straftaten in sozialer Verantwortung zu befähigen. Die gesamte Vollzugsgestaltung hat sich an diesem Ziel auszurichten. Das ist im Übrigen auch in unserer Landesverfassung verankert. Und deren Annahme in einer Volksabstimmung vor 20 Jahren haben wir gerade gefeiert. Anders gesagt: Die Resozialisierung der Gefangenen hat bei uns Verfassungsrang. Zudem hat auch das Bundesverfassungsgericht wiederholt betont, dass auch zu lebenslangen Freiheitsstrafen Verurteilte nicht stärker von der Außenwelt isoliert werden dürfen, als es für den Freiheitsentzug und die Behandlung notwendig ist.
Als Lockerungen des Vollzuges kennt der Entwurf wie bisher Ausgang, Freigang und Langzeitausgang, der im Strafvollzugsgesetz des Bundes bisher Urlaub aus der Haft heißt. Eine Sonderregelung für zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilte Strafgefangene enthält der Gesetzentwurf - wie schon das Strafvollzugsgesetz des Bundes - lediglich für den Langzeitausgang. So können „Lebenslängliche“ Langzeitausgang erst erhalten, wenn sie sich einschließlich einer vorhergehenden Untersuchungshaft oder einer anderen Freiheitsentziehung fünf Jahre im Vollzug befunden haben oder im offenen Vollzug untergebracht sind. Das Strafvollzugsgesetz des Bundes sieht hier eine Wartezeit von zehn Jahren vor. Die Sperrfrist gilt auch dort nicht für die sich im offenen Vollzug befindenden Verurteilten.
Nach Auskunft des Justizministers wird diese Praxis dem Anspruch nicht gerecht. Aktuell befinden sich 71 zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe Verurteilte im brandenburgischen Justizvollzug. Lediglich zwei von ihnen erhalten Urlaub nach dem bisherigen Strafvollzugsgesetz. Und obwohl dies nach zehn Jahren möglich wäre, wurde diesen Gefangenen Urlaub erst nach über 15 beziehungsweise über 17 Jahren Haft gewährt. Die 13 Gefangenen, die bislang so genannte Ausführungen erhalten - das sind in der Regel die ersten Lockerungen unter Aufsicht von Vollzugsbediensteten -, haben diese erst nach durchschnittlich 19 Jahren Haft erhalten.
Nach Auffassung der zehn oben genannten Justizressorts ist eine Absenkung der Sperrfrist geboten, damit künftig die zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe Verurteilten zeitgerecht im Rahmen der Vollzugsplanung Langzeitausgang erhalten. Das sehen offenbar auch im Bereich der Strafrechtspflege tätige Vereine so, wie die Arbeitsgemeinschaft Deutscher Bewährungshelfer oder der Deutsche Anwaltsverein. Auch Vertreter der Wissenschaft haben den Entwurf begrüßt.
Wichtig ist mir, sehr geehrter Herr Schütze, abschließend deutlich zu machen, dass die Gefangenen nach dem Entwurf keinen Rechtsanspruch auf einen Langzeitausgang haben, sondern auf Antragstellung. Lockerungen dürfen nur gewährt werden, wenn es auch verantwortet werden kann. Dazu ist eine sehr sorgfältige Prüfung der Flucht- und Missbrauchsgefahr Voraussetzung. Einer solchen Entscheidung liegen in der Praxis immer ausführliche Stellungnahmen der zuständigen Psychologen, in vielen Fällen sogar Gutachten von Sachverständigen zugrunde. Überdies wird jede einem zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe Verurteilten geplante Vollzugslockerung dem Justizministerium vorgelegt. Dessen Zustimmung ist zwingend vorgeschrieben.
Wie Sie sehen, sehr geehrter Herr Schütze, geraten auch bei dem in Rede stehenden Entwurf die Interessen der Allgemeinheit, ihr Anspruch auf Schutz vor Kriminellen nicht aus dem Blick. Zudem misst das Land Brandenburg dem Opferschutz weiterhin eine sehr hohe Bedeutung bei. So fördert das Land aus Haushaltsmitteln die Opferhilfe Land Brandenburg e. V. jährlich mit 207.500 Euro.
Mit freundlichem Gruß
Matthias Platzeck
Kommentare (2)Öffnen
am 18. April 2012
1.
am 22. April 2012
2.
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