Sehr geehrte Damen und Herren,

wie Sie sicher aus den Medien erfahren haben, werde ich am 28. August vom Amt des Ministerpräsidenten zurücktreten. Deshalb wird es mir künftig nicht mehr möglich sein, Ihre Fragen an dieser Stelle zu beantworten. Der Bürgerdialog über das Onlineportal direktzu.de hat in den zurückliegenden Jahren eine Vielzahl von Anliegen und Problemen von Ihnen, den Bürgerinnen und Bürgern, thematisiert. Ich habe mich über die anhaltende Resonanz sehr gefreut. Sie dokumentierte Ihr Interesse am Lebensumfeld, aber auch an politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Fragen. Das Portal war für mich wichtiger Anzeiger, welche Sorgen, Probleme oder Anliegen die Menschen im Land bewegen. Es bot die Möglichkeit, politische Bewertungen aus der brandenburgischen Bevölkerung ungefiltert und direkt zu erfahren. Und ebenso offen und geradeheraus habe ich mich stets um Antwort bemüht. Für mich war darüber hinaus entscheidend, dass das Voting-Verfahren den öffentlichen Diskurs bei uns im Land befördert. Fragesteller und auch ich wussten dadurch: Das interessiert Viele!

Ich bedanke mich bei Ihnen für Ihr Vertrauen und die vielen interessanten Fragen und Einschätzungen.

Herzlichst

Ihr

Matthias Platzeck

Beantwortet
Autor Dana Thomas am 12. Mai 2013
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Landesregierung

Kann sich Brandenburg Gerechtigkeit (nicht) leisten?

Sehr geehrter Herr Ministerpräsident,

hier ist wieder Lieschen Müller aus dem Südbrandenburgischen.

Sie hatten mir im vorigen Jahr geantwortet, dass die geschilderten Probleme auf der Ebene der kommunalen Selbstverwaltung zu lösen sind.
Die gesetzliche Grundlage für Jahrzehnte verspätete und ungerechte Beitragserhebungen für Wasser-/Abwasseranlagen bildet das KAG. Praktisch können damit Verjährungsfristen bei ungültigen Satzungen auf unbegrenzte Zeit ausgehebelt werden. Das höchste deutsche Gericht hat jüngst entschieden:
Ein Bürger darf für Anschlussbeiträge nicht unbegrenzt lang zur Kasse gebeten werden!
Statt diesen Zustand endlich zu beenden, sollen nun Beitragsforderungen erst nach 20 Jahren erlöschen, und für Altanschließer soll sogar eine Frist von insgesamt 30 Jahren gelten. Wie absurd solche Zeiträume sind, liegt auf der Hand.

Herr Platzeck, wir brauchen Rechtssicherheit – die übliche Verjährungsfrist von 4 Jahren muss für Alt- und Neuanschließer endlich greifen. Fehlerhafte Satzungen und Versäumnisse der Verwaltungen dürfen nicht zu Lasten der Bürger gehen.

Sie werden in ihrer Antwort wieder erklären, dass die Investitionen auch bezahlt werden müssen. Ja, aber dazu brauchen wir einen Systemwechsel – weg von Anschlussbeiträgen hin zu einer reinen Gebührenfinanzierung. Jeder sollte nur für die Leistung zahlen, die er in Anspruch nimmt.

Sicher liegt und lag es immer in der Verantwortung der kommunalen Selbstverwaltung, ein Finanzierungsmodell (Beiträge,Gebühren oder beides) zu wählen. In der Praxis sind Zweckverbände mit Liquiditätsproblemen nicht wirklich frei in dieser Entscheidung. Das rechtfertigt aber noch keine verfassungswidrigen Zustände, auch nicht für ehemalige DDR-Bürger. Außerdem wird mit der bestehenden Rechtsunsicherheit zusätzlich ein großes auch finanzielles Risiko für alle Beteiligten in Kauf genommen. Verwaltungsgerichte, Anwälte, Verbandsvorsteher und Kommunalvertreter könnten ihre Kraft wirklich für sinnvollere Aufgaben einsetzen. Zahlen wird es am Ende der Bürger durch unnötig erhöhte Gebühren.

Sorgen sie für Rechtssicherheit und Rechtsfrieden - für Bürger, Verbände und Kommunen gleichermaßen - mit einem verfassungskonformen KAG und mit der gesetzlichen Verankerung einer reinen Gebührenfinanzierung.

Wer auf dem Land lebt, nimmt viele Einschränkungen und Lasten auf sich. Einen ausführlichen Überblick haben ihnen die Ortsvertreter rund um Sonnewalde im September 2011 in einem Brief vermittelt, auf dessen Beantwortung immer noch Hoffnung besteht.

Vielen Dank für ihre geschätzte Aufmerksamkeit,

ihre Lieschen Müller

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Antwort
von Matthias Platzeck am 11. Juni 2013
Matthias Platzeck

Sehr geehrte Frau Thomas,

es freut mich zunächst wieder von Ihnen zu lesen. Mit gewohnt spitzer Feder… Auch ich will versuchen, wieder präzise und umfassend zu antworten. Zur Sache: Auch wenn sich der Spruch der Karlsruher Richter auf eine Regelung des bayerischen Kommunalabgabengesetzes bezieht, wird der Auftrag des Bundesverfassungsgerichts an den dortigen Gesetzgeber auch im Land Brandenburg sehr ernst genommen. So soll auf Vorschlag von Innenminister Dietmar Woidke unser Kommunalabgabengesetz so ergänzt werden, dass eine Beitragsfestsetzung nicht unbegrenzt nach Eintritt der so genannten Vorteilslage möglich ist.

Ich will Ihnen aber kurz schildern, zwischen welchen verschiedenen und widerstreitenden Interessen der Gesetzgeber hierbei abzuwägen hat. Auch um Ihnen die Schwierigkeiten zu verdeutlichen, zu einer für alle Seiten akzeptablen und fairen Lösung zu kommen. Da ist zunächst das Interesse der Allgemeinheit an der gesicherten Finanzierung von Einrichtungen der kommunalen Daseinsvorsorge und einer gleichmäßigen Abgabenerhebung. Dies würde für einen möglichst langen Zeitraum sprechen, in dem der so genannte Vorteilsausgleich stattfinden sollte. Zugleich gilt das Interesse des einzelnen Beitragsschuldners, der verständlicherweise Sicherheit darüber haben will, wann er nicht mehr mit einer Inanspruchnahme zu rechnen hat. Dieses Argument spricht ganz klar dafür, einen „Schlusspunkt“ zu regeln. Und dann haben wir noch das Interesse anderer Abgabenschuldner: Mieter wollen beispielsweise die Gebühren möglichst gering halten. Grundstückseigentümer, die bereits ihren Beitrag zur Wasser- oder Abwasseranlage gezahlt haben, sind an einer Gleichbehandlung aller Eigentümer interessiert. Für diese Interessen anderer Abgabenschuldner ist wiederum eine möglichst vollständige Beitragserhebung nötig, die durch eine zu kurze zeitliche Obergrenze gefährdet werden würde. Sie sehen, sehr geehrte Frau Thomas, die Gemengelage ist extrem komplex und es ist sehr schwer, einen guten Kompromiss zwischen all diesen Interessen auszuloten. Dennoch können Sie sicher sein, der Landesregierung ist sehr daran gelegen, Rechtsfrieden und Rechtssicherheit zu schaffen.

Sie sprechen sich in Ihrer Wortmeldung zudem für einen Systemwechsel aus – weg von Anschlussbeiträgen hin zu einer reinen Gebührenfinanzierung. Dazu klipp und klar: diese Möglichkeit ist nach unserem Kommunalabgabengesetz bereits gegeben. Den Gemeinden und Zweckverbänden ist es nach dem Gesetz nämlich frei gestellt, die Investitionen vollständig durch Gebühren zu refinanzieren und auf Beiträge zu verzichten. Das Gesetz enthält keine Verpflichtung, Beiträge zu erheben. Grundsätzlich ist auch eine reine Gebührenfinanzierung, wie sie in einigen Brandenburger Städten praktiziert wird, möglich. Allerdings gehört zur Wahrheit auch, dass bei einer Umstellung auf reine Gebührenfinanzierung eine Entlastung der bisherigen Beitragszahler und eine zusätzliche Belastung der Gebührenzahler erforderlich werden. Das hat im Übrigen auch das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg in einem Urteil vom 6. Juni 2007 festgestellt.

Und in einem Punkt hatten Sie natürlich recht. Ich werde auch in dieser Antwort das Recht der kommunalen Selbstverwaltung hochhalten. Die Gemeinden sollen selbst entscheiden, ob sie – auf der Grundlage einer vertraglichen Vereinbarung – privatrechtliche Entgelte verlangen oder ob sie öffentlich-rechtliche Abgaben erheben. Entscheiden sie sich für Abgaben, haben sie wie gesagt grundsätzlich die Wahl, ob sie die bisherigen und zukünftige Investitionen über einmalige Beiträge refinanzieren oder ob dieser Aufwand bei den Abwasser- und Wassergebühren berücksichtigt wird. Sehr verbreitet ist das Modell, dass ein Teil des Investitionsaufwandes über Beiträge und der andere Anteil über Gebühren finanziert werden. Grundsätzlich gilt: Werden Beiträge erhoben, sind diese einmaligen Zahlungen der Eigentümer bei der Gebührenkalkulation für die Mieter zu berücksichtigen. Zu gut Deutsch: Beitragserhebungen wirken sich günstig auf die Gebührenhöhe aus. Entscheidet sich die Gemeinde für eine Mischfinanzierung, werden die laufenden Ausgaben und ein Teil der Investitionen durch jährliche Gebühren finanziert und der verbleibende Teil der Investitionskosten durch einmalige Beiträge. Nach all dem Gesagten hält die Landesregierung die teilweise Beitragsfinanzierung für ein sinnvolles Finanzierungsmodell, das den Kommunen weiterhin zur Verfügung stehen sollte. Denn die teilweise Erhebung von Beiträgen ermöglicht es den Kommunen, einerseits niedrige Wasser- oder Abwassergebühren anzubieten und andererseits die Lasten gerecht zwischen Eigentümern sowie Mietern bzw. Nutzern zu verteilen.

Mit freundlichen Grüßen

Matthias Platzeck