Sehr geehrte Damen und Herren,

wie Sie sicher aus den Medien erfahren haben, werde ich am 28. August vom Amt des Ministerpräsidenten zurücktreten. Deshalb wird es mir künftig nicht mehr möglich sein, Ihre Fragen an dieser Stelle zu beantworten. Der Bürgerdialog über das Onlineportal direktzu.de hat in den zurückliegenden Jahren eine Vielzahl von Anliegen und Problemen von Ihnen, den Bürgerinnen und Bürgern, thematisiert. Ich habe mich über die anhaltende Resonanz sehr gefreut. Sie dokumentierte Ihr Interesse am Lebensumfeld, aber auch an politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Fragen. Das Portal war für mich wichtiger Anzeiger, welche Sorgen, Probleme oder Anliegen die Menschen im Land bewegen. Es bot die Möglichkeit, politische Bewertungen aus der brandenburgischen Bevölkerung ungefiltert und direkt zu erfahren. Und ebenso offen und geradeheraus habe ich mich stets um Antwort bemüht. Für mich war darüber hinaus entscheidend, dass das Voting-Verfahren den öffentlichen Diskurs bei uns im Land befördert. Fragesteller und auch ich wussten dadurch: Das interessiert Viele!

Ich bedanke mich bei Ihnen für Ihr Vertrauen und die vielen interessanten Fragen und Einschätzungen.

Herzlichst

Ihr

Matthias Platzeck

Beantwortet
Autor Helmut Krüger am 17. August 2012
6976 Leser · 56 Stimmen (-1 / +55) · 0 Kommentare

Vorhaben, Vorschläge und Ideen

Chance für eine neue, veränderte Planungskultur?

Geehrter Herr Ministerpräsident,
lieber, sehr geehrter Matthias Platzeck,

wie es aussieht, wird es wohl zu einem Untersuchungsausschuss bezüglich der verschobenen Flughafeneröffnung kommen und wie es gleichfalls aussieht, wird er in das altbekannte Gesellschaftsspiel hinein münden, wer denn nun die Schuld, gar die Hauptschuld trägt an allem.

Ich selber halte derartige Schuldzuweisungen für wenig oder gar nicht aufschlussreich, wenn es gilt, ggf. aus Fehleinschätzungen zu lernen, was allerdings nicht mit dem Rücken zur Wand geht, sondern eben nur mit freiem Rücken.

Vergegenwärtige ich mir die Baustellen in den letzten Jahrzehnten, so werden

a) die Planungsunterlagen in immer kürzeren Zeitabständen verändert, nachgebessert und während des Bauprozesses mit aktueller Gesetzeslage versehen,

b) die kalkulierten Fristen bis zur Übergabe eines Teilbereiches immer präziser berechnet, unter der Begründung "Zeit ist Geld", gleichzeitig geschieht dies aber auch mit der Folge größerer Anfälligkeit,

c) die Herausforderungen an die Koordiination fast schon unmenschlich hoch, auch deshalb, weil sehr viele Baubetriebe Parallelbaustellen haben - aufgrund Liquiditätssicherung infolge gesunkener Zahlungsmoral - und die Termineinhaltung in dem Maße absinkt, wie an anderen Orten 3-fach Neues begonnen wird.

Der Realisierungsrahmen von Bauprojekten, mit und ohne Beteiligung des Landes, mit Vertretung oder ohne Vertretung im Aufsichtsrat, scheint mir - der ich zugegebenermaßen hier Laie bin - angesichts all dessen schlichtweg auf Kante genäht.

Wo bleilben die Spielräume, die Unplanmäßigkeiten ausgleichen können? Wäre es nicht an der Zeit, mit größeren Spielräumen zu arbeiten, wenn wir wissen, dass derjenige, der 2 Minuten bis zur Haltestelle braucht und glaubt, dies auf eine Minute herunter optimieren zu können, wahrscheinlicher Bus oder Straßenbahn verpasst als derjenige, der großzügig 3 oder 4 Minuten vorher los geht?

Das betrifft schließlich auch Ihren hoffentlichen "Vorgesetzten" - wenn er denn endlich einmal diese Rolle annähme - den brandenburgischen Landtag: Besser, das Gebäude 2015, 2016 oder sonstwann eröffnet und in seiner Substanz 300 und mehr Jahre erhalten - wozu dann das Geld auch tatsächlich lohnt! - , als im Herbst 2013 eröffnet und nach 15 Jahren bereits Grundlegendes nachgebessert.

Meine Frage:
Welche Chance sehen Sie, zu einer anderen Planungskultur zu gelangen, treffender noch: sich genau dafür stark zu machen, dass die Zeitmaße nicht weiter und weiter gestaucht, vielmehr von vornherein gestreckt werden, bei aller zutage tretenden Unplanmäßigkeit? Gäbe es Chancen, das Gebot der sparsamen Mittelverwendung, an das die öffentlichen Haushalte selbstverständlich gebunden sind, im Zeithorizont zu weiten, anstatt das nur kurzfristig zu sehen? Könnte "der Staat", soweit denn ggf. überparteilicher Konsens irgendwann bestünde, hier nicht auch Vorbild sein?

Mit freundlichen Grüßen
Helmut Krüger

+54

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Antwort
von Matthias Platzeck am 22. Oktober 2012
Matthias Platzeck

Sehr geehrter Herr Krüger,

ich lese Ihre sehr interessante Zuschrift als ein Plädoyer für eine andere Kultur bei der Planung von bedeutenden Bauvorhaben. Zunächst einmal haben Sie Recht, dass solche Planungsprozesse sehr zügig und oftmals unter großem Druck vorangebracht werden. Dennoch kommt es vielfach nicht zur schnellen Umsetzung, denn fast immer schließen sich langwierige juristischen Aus- einandersetzungen an oder es kommt zu unvorhergesehenen Schwierigkeiten. Beispiele aus jüngster Zeit sind unser Flughafen Berlin Brandenburg, aber auch die Elbphilharmonie in Hamburg oder der Ausbau der Autobahn 100 in Berlin.

Aus meiner Sicht bewegt sich das Thema in einem Spannungsfeld: Zum Einen muss es in unserer demokratischen Gesellschaft genug Zeit geben, um große Bauprojekte ausführlich politisch zu diskutieren, zu planen - und das möglichst unter Einbeziehung aller Beteiligten. Und es braucht ausreichend Zeit, um die Arbeiten dann fachmännisch auszuführen.

Zum Anderen besteht ein berechtigtes Interesse in der Öffentlichkeit, die Zeit zwischen der politischen Entscheidung über das „Ob“ eines Projektes und der Inbetriebnahme möglichst kurz zu halten. Die Gründe dafür sind vielseitig: Tatsächlich gilt beim Bauen das Prinzip „Zeit ist Geld“. Jede Verzögerung kostet zumeist zusätzliche Euro. Deshalb drückt auch jeder private Bauherr aufs Tempo. Ist die öffentliche Hand Auftragsgeber, handelt es sich um Steuergelder. Die Ausgaben sind hier an die jeweiligen Haushaltsvorgaben gebunden. Der Gesetzgeber stellt die erforderlichen Mittel für bestimmte Zeiträume, in Haushaltsjahren angegeben, zur Verfügung. Die Verwaltungen sind durch diesen Rahmen gebunden.

Auch wollen die Befürworter eines Bauvorhabens es natürlich möglichst schnell in Anspruch nehmen, etwa das langersehnte Schwimmbad oder die Lärm mindernde Umgehungsstraße. Nicht selten haben sich zuvor Bürger- innen und Bürger über einen längeren Zeitraum dafür eingesetzt und machen Druck. Bei manchen Vorhaben geht es auch darum, eine wirtschaftliche Chance wahrzunehmen, die durch Verzögerung verloren ginge. Ich denke dabei an innovative Projekte der Energieerzeugung. Und natürlich haben die Verantwortlichen in der Politik und der Verwaltung den Wunsch, die Früchte ihres Wirkens wachsen zu sehen.

Und noch einen weiteren Aspekt will ich hier anführen, der mir sehr wichtig ist. Wenn wir in Deutschland unseren Status als führende Industrienation und damit unseren Wohlstand sichern wollen, müssen wir innovative und gute Projekte auch in absehbaren Zeiträumen umsetzen können. Diese Überlegung kommt mir in manchen Diskussionen einfach zu kurz, auch wenn ich nie- mandem das Recht absprechen will, gegen das eine oder andere Projekt Vorbehalte anzubringen. Aus meiner Sicht brauchen wir einen überparteilichen Konsens in unserer Gesellschaft, dass wir den Industriestandort Deutschland als Quelle unseres Wohlstands nicht zum Nulltarif werden halten können. Dazu sind mitunter Kompromisse und auch manch unangenehme Begleit- erscheinung nicht zu vermeiden.

Bei all dem Gesagten, sehr geehrter Herr Krüger, gilt dennoch der Grundsatz, dass die gesetzlich vorgesehenen Verfahrensvorschriften einzuhalten sind. Deren Zweck ist es auch, möglichst allen Betroffenen Gelegenheit zur Äußerung zu geben, um wirklich nichts zu übersehen. Ich bin davon überzeugt, dass die Behörden in Brandenburg, egal ob die des Landes oder der kommunalen Ebene, sich rechtssicher verhalten.

Ungeachtet all dessen, haben Sie, sehr geehrter Herr Krüger, natürlich Recht mit Ihren Forderungen mit Blick auf die konkreten Planungen und Durch- führungen. Die Bauherren, ausführende Unternehmen und die beteiligte Verwaltung sind immer angehalten, sorgsam zu planen, um Störungen, die zu Zeitverzug führen können, möglichst zu vermeiden. Dazu gehört, Zeit für zunächst Unvorhersehbares einzuplanen.

Ich denke, dass wir alle Instrumente haben, um eine gute Planungskultur umzusetzen. Dabei will ich nicht verhehlen, dass ich besonders in punkto Öffentlichkeitsarbeit bei besonders umstrittenen Vorhaben Verbesserungen für nötig halte.

Mit freundlichem Gruß