Sehr geehrter Herr Bachmann,
das Leben wird nach vorne hin gelebt und nach hinten hin verstanden, heißt es sinngemäß beim Philosophen Kierkegaard. Die Vergangenheit begleitet uns dabei mit allem, was wir von ihr wissen, erinnern und verstanden haben. Trotzdem muss das Leben nach vorn gelebt werden. Das heißt für mich, Neuem gegenüber offen zu sein und nicht an alles und jeden nur die Messlatte der Vergangenheit anzulegen. Aus demselben Grund bin ich der Meinung, dass jeder Mensch eine zweite Chance verdient. Um es noch deutlicher zu sagen: Ich lehne es ab, nach mehr als zwei Jahrzehnten Menschen immer noch ausschließlich danach zu beurteilen, was sie vor 20 und mehr Jahren gemacht haben. Das wäre ja, als hätten sie nach 1989 gar kein Leben gelebt! Nach meiner Erfahrung sehen das die meisten Brandenburgerinnen und Brandenburger genau so und leben nach vorn. Deshalb interessiert die Leute vor allem, wofür jemand heute steht, welche Konzepte eine Partei für Gegenwart und Zukunft hat. Selbstverständlich muss ein offener Umgang mit der eigenen Geschichte dazu kommen. Wer für ein öffentliches Amt kandidiert, muss zu seiner Biografie Rede und Antwort stehen. Jede Partei, die Regierungsverantwortung übernimmt, muss sich kritische Fragen zur Vergangenheit gefallen lassen und Farbe bekennen. Die Rot-rote Koalition hat Farbe bekannt, das ist im Koalitionsvertrag nachlesbar. Dort heißt es: „Eine Verklärung der SED-Diktatur wird es mit dieser Koalition nicht geben. Der offene und kritische Umgang mit früheren Fehlern ist ebenso notwendig wie die Übernahme von Verantwortung für verursachtes Unrecht in Missachtung von Freiheit und Demokratie. Wir werden die Lehren der Geschichte umfassend beherzigen und weitergeben. Unser Respekt und unsere Zuwendung gelten den Opfern der Diktatur, das Andenken an erlittene Repressalien werden wir wach halten.“
Beim Umgang mit der Vergangenheit plädiere ich für das „rechte Maß“, wohl wissend, dass dieses schwer zu bestimmen ist. Für mich heißt das nicht mehr und nicht weniger als eine differenzierte Betrachtung jeder einzelnen Lebensgeschichte. Damit meine ich die Berücksichtigung der geschichtlichen, gesellschaftlichen und persönlichen Bedingungen, unter denen jemand gelebt und gehandelt hat. Bekanntlich konnten die Lebensumstände auch in der DDR sehr verschieden sein – und nicht alles konnte man sich aussuchen. Dabei hat jeder ohne Ansehen der Person ein Recht auf sachliche und differenzierte Beurteilung. So funktioniert unser Rechtstaat und der ist auch das „Maß“, das in unserem Brandenburg gilt. Ich gebe zu, dieser Weg ist schwerer zu gehen und schwerer zu vermitteln. Er ist aber der unserer Demokratie einzig angemessene, davon bin ich überzeugt. Übrigens war eine solche Herangehensweise in der ersten Legislaturperiode im Brandenburger Parlament parteiübergreifender Konsens. Unbestreitbar ist, dass dabei auch Fehler gemacht wurden und es Versäumnisse gab. Die vom Landtag eingesetzte Enquetekommission zur „Aufarbeitung der Geschichte und Bewältigung von Folgen der SED-Diktatur und des Übergangs in einen demokratischen Rechtsstaat im Land Brandenburg“ befasst sich gerade damit.
Dass wir hier und heute miteinander nachdenken und streiten können, wie das Leben nach vorne gelebt und nach hinten verstanden werden soll, schätze ich persönlich über alle Maßen.
Mit freundlichem Gruß
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am 26. März 2011
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